Irische Küsse
bin der jüngste von fünf Brüdern. Als Ulliam noch lebte, waren es sechs. Wenn ich nicht blitzschnell reagierte, musste ich bitter dafür büßen.“
„Sie haben dir ziemlich zugesetzt, wie?“
„Jeden Tag meines Lebens.“
Ihr Lächeln wärmte ihm das Herz. Er betrachtete sinnend die Rundung ihrer Wangen, ihre strahlend grünen Augen. Ihr kurzes Haar war vollständig unter dem Schleier verdeckt, vermutlich war er einer der wenigen, die wussten, dass sie es abgeschnitten hatte. Eigentlich müsste sie reizlos und männlich aussehen, doch das kurze Haar betonte ihr ovales Gesicht und ihre vollen Lippen.
Er durfte sie nicht so ansehen, schließlich wollte er um die Hand von Katherine of Ardennes anhalten. Er verbrachte auch viel zu viel Zeit mit Honora.
„Was treibt dich bei diesem Wetter ins Freie?“, fragte er. Der Wind jagte dunkle Wolken über den verhangenen Himmel, ein leichter Regen hatte eingesetzt.
„Ich will John nicht begegnen.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust, als gelte es, einen bösen Geist zu bannen.
Ewan umfing den Griff seines Schwertes, das kalte Metall empfand er als Wohltat. „Was hat er dir angetan, Honora?“ Er bemühte sich, gelassen zu sprechen, damit sie seinen unterschwelligen Groll nicht bemerkte.
„Es ist ohne Bedeutung.“
Sie weigerte sich, ihn anzusehen. Seine Stimmung verdüsterte sich bei der Vorstellung, aus welchen Gründen Honora Angst vor diesem Mann hatte.
„Ich glaube dir nicht.“
„Glaube, was du willst, MacEgan. Die Gründe, warum ich John nicht begegnen will, sind meine Sache.“ Sie machte kehrt, den Blick auf die schwere Burgtür gerichtet.
Ihr trotziges Schweigen ließ ihn das Schlimmste befürchten. „Hat er dir Gewalt zugefügt?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, mir nicht.“ Sie legte die Hände an ihre erhitzten Wangen.
Also hatte John anderen etwas angetan, und Honora fühlte sich dafür verantwortlich.
Sie trat einen Schritt zurück, und er bemerkte, dass er sie unbeabsichtigt in die Enge getrieben hatte. Er hütete sich davor, sie noch mehr zu bedrängen. „Du hast mich gebeten, ihn dir vom Leib zu halten. Ist das immer noch dein Wunsch?“
Sie ließ die Schultern hängen. „Das war falsch von mir, ich weiß. Du kannst nicht ständig in meiner Nähe sein. Ich muss mich endlich meinen Ängsten stellen.“
Damit stieß sie die Eichentür auf und verschwand. Er folgte ihr nicht.
Honora verdiente es, nach ihrer ersten freudlosen Ehe glücklich zu sein. Und sollte sie sich trotz aller Bedenken wieder verheiraten, wünschte Ewan ihr einen Mann, der sie beschützte. Sie waren gemeinsam aufgewachsen, und Honora stand ihm nahe wie eine Schwester.
Gewissensbisse nagten an ihm, denn seine Gefühle für sie waren in letzter Zeit keineswegs brüderlicher Natur, schon gar nicht, nachdem sie sich an seine Nacktheit geschmiegt hatte. Und bei seinem Kuss hatte sie kehlige Laute von sich gegeben, die ihn fast um den Verstand gebracht hatten. All das machte sie gefährlich für ihn.
Aber letztlich handelte es sich lediglich um Fleischeslust, der er mühelos widerstehen konnte. Er wollte sie aus seinen Gedanken verbannen, und sich der Frau widmen, deren Herz er erobern wollte.
Es vergingen zwei Tage ohne eine unliebsame Begegnung mit John, wobei Honora nicht den Fehler beging, anzunehmen, er würde sie dauerhaft in Frieden lassen. Nein, er lauerte nur darauf, dass sie in ihrer Wachsamkeit nachließ, um dann zuzuschlagen und sich an ihr zu rächen.
Ihre Schwester hingegen wurde nicht von derartigen Ängsten geplagt.
„Er lädt mich zu einem Ausritt ein“, gestand sie beim morgendlichen Ankleiden, wobei ihre Augen vor Aufregung strahlten.
„Wer denn?“
„Ewan natürlich.“ Katherine hob die Arme, damit die Magd ihr den Bliaut seitlich schnüren konnte. „Du darfst es aber niemandem sagen“, warnte sie Honora im verschwörerischen Flüsterton. „Vater soll nichts davon erfahren. Er wacht viel zu streng über jeden meiner Schritte.“
„Und das aus gutem Grund.“ Honora gefiel dieser Plan keineswegs. Ihre jüngere Schwester war allzu naiv im Umgang mit Männern. „Du solltest nicht ohne Begleitung mit ihm ausreiten.“
„Ewan will mich besser kennenlernen … Und ich … ich denke, ich nehme seinen Antrag an und werde seine Gemahlin, Honora. Findest du nicht auch, dass eine Braut gelegentlich allein mit ihrem Verlobten sein sollte?“
Du bist aber noch nicht verlobt, dachte Honora. Sie schloss die Augen und zählte bis
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