Irische Küsse
sie finster an. „Ich hatte gehofft, Sir Ademar schafft dich mir vom Hals. Aber nun besteht auch diese Möglichkeit nicht mehr.“
„Mich dir vom Hals schaffen?“ Die Stimme versagte ihr beinahe vor Zorn, der in ihr aufstieg und ihr den Atem nahm. „Ich bin also eine Last für dich? Deine eigene Tochter?“
„Honora, du hast ein Heim. Du besitzt eigene Ländereien, die du sträflich vernachlässigst, wenn ich das hinzufügen darf. Ich hatte nichts gegen deinen Besuch einzuwenden, aber ich hätte niemals von dir erwartet, dass du vor deinen Pflichten davonläufst.“
Ihre Kehle war wie zugeschnürt, ihre Hand klammerte sich um den Griff ihres Dolches, um nicht die Fassung zu verlieren. „Ich kehre erst nach Ceredys zurück“, stieß sie gepresst hervor, „wenn die Zeit dafür gekommen ist. Darauf kannst du dich verlassen.“
Und dann würde sie dafür sorgen, dass John nie wieder die Hand gegen seine Leute erhob.
Ihr Vater schüttelte unnachgiebig den Kopf. „Deiner Schwester zuliebe wünsche ich, dass du Ardennes sofort verlässt.“ Er hob abwehrend die Hand. „Es ist mir einerlei, wohin du gehst. Aber ich dulde nicht, dass du dich noch einmal in Katherines Heiratspläne einmischst.“
Honora stand wie gelähmt da. Sie war nicht bereit, die Festung zu verlassen. Noch nicht. Durch die Ereignisse der letzten Tage, durch ihren inneren Aufruhr hatte sie noch keine Pläne gefasst, nicht einmal über den nächsten Tag hinaus gedacht. „Du gibst mir die Schuld, und ich weiß nicht warum.“ Ihr war übel geworden, ihr Magen drohte zu rebellieren.
„Katherine nahm MacEgans Werbung an, und noch in der gleichen Nacht hat sie dich in seinen Armen liegen gesehen, wenn das keine Schuld ist“, sagte er leise.
Honora gefror das Blut in den Adern. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte keinen Gedanken daran verschwendet, dass jemand ihr heimliches Treffen mit Ewan beobachten könnte. Ihr Vater hatte recht, sie hätte Ewan zurückweisen müssen. Stattdessen hatte sie ihm gestattet, sie zu küssen und verbotene Zärtlichkeiten mit ihr zu tauschen.
„Es tut mir leid“, murmelte sie zerknirscht und rieb sich zerstreut das schmerzende Handgelenk. Sie wünschte in diesem Moment, alles ungeschehen machen zu können. Ihr Leben lag in einem Scherbenhaufen vor ihr, und sie konnte nichts daran ändern.
Sie war im Begriff, das Gemach zu verlassen, als ihr Vater vor sie hintrat, wortlos ihren Dolch aus der Scheide zog und ihn ihr vors Gesicht hielt.
„Denk an meine Worte, Honora. Eine wahre Lady erhebt niemals die Hand gegen einen Mann. Eine Lady ist gehorsam und pflichtbewusst. Erst wenn du das endlich begreifst, wirst du dein Glück finden. Versuche nie wieder, einem Mann deinen Willen aufzuzwingen.“ Mit einer ruckartigen Handbewegung schleuderte er den Dolch gegen die Wand. Der Griff schlug krachend gegen den Stein und löste sich von der Klinge.
Ihr Vater zog nun die Tür hinter sich zu und ließ sie alleine. Honora starrte entsetzt auf die zerbrochene Waffe. Sie hatte das Gefühl, als liege sie selbst zerstört auf dem Boden. Ein zweites Mal war ihr Dolch zerbrochen worden. Ihr war, als habe ihr Vater sie wie diese Waffe von sich gestoßen. Sie biss sich auf die Lippen, um ihre Tränen zurückzudrängen.
Nach einer Weile kniete sie nieder und sammelte die Bruchstücke ein. Der Dorn der Klinge war so dünn geschliffen, dass er eigentlich bei dem Aufprall hätte abbrechen müssen, was aber nicht geschehen war. Dennoch bezweifelte sie, dass die Waffe noch einmal zu reparieren war.
Als sie den verzierten Holzgriff an sich nahm, fühlte er sich auf einer Seite schwerer an. Das war ihr schon aufgefallen, als sie aus Ceredys geflohen war. Und als sie ihn schräg hielt, stellte sie fest, dass er ausgehöhlt war. Und dann rollte etwas Rundes auf die Steinfliesen.
Mit angehaltenem Atem erkannte Honora Marie St. Legers Rubin. Der oval geschliffene Edelstein war etwas schmaler als ihr Daumen. Und plötzlich wurde ihr klar, dass Marie den Griff als Versteck für den Rubin hatte anfertigen lassen. Der Waffenschmied hatte ihn ausgehöhlt und den Stein darin versenkt, bevor er die Klinge daran befestigte. Kein anderer wäre in der Lage gewesen, die Waffe so meisterlich wieder herzustellen.
Warum hatte Marie das getan? Sie hatte gewusst, welche Bedeutung der Dolch für sie hatte und ihn deshalb als Versteck für ihr Geschenk gewählt.
Honora umklammerte den Edelstein und schickte ein stummes Gebet für Maries Seele
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