Irische Küsse
lassen. Ich fühle mich verantwortlich für sie.“
Patrick sah sie lange und eindringlich an, bevor sein Blick sich auf Ewan heftete. Dann sagte er: „Gott steh Euch bei in Eurer Mission.“
Diese Antwort hatte Ewan von Patrick nicht erwartet. Es wäre ihm ein Leichtes, Honora einen Trupp Soldaten zur Verfügung zu stellen, aber der König ging nicht auf ihre unausgesprochene Bitte ein, wechselte stattdessen das Thema und sprach von den Vorbereitungen zur Mittsommernachtfeier.
Sein Bruder sah keine Veranlassung, den Clan der MacEgans in einen Krieg gegen den Baron of Ceredys zu verwickeln. In Ewan war allerdings zwischenzeitlich der Entschluss gereift, Honora in ihrem Kampf um die Rechte ihrer Untertanen nicht allein zu lassen.
Die Schwierigkeit bestand darin, eine Armee zusammenzustellen. Seine Clanleute wären nicht bereit, einzig aus Gründen der Loyalität das Meer zu überqueren und ihr Leben zu riskieren. Honora brauchte dringend Silber oder andere Zahlungsmittel.
Im Verlauf des Festmahls spürte Ewan, wie ihre Beklemmung wuchs. Ihr Lächeln war starr, sie fühlte sich ausgeschlossen, konnte sich nicht ohne seine Übersetzung an Gesprächen beteiligen.
„Komm mit mir“, sagte er endlich und nahm sie bei der Hand. Sie erhob sich, und Ewan entschuldigte sie. Seine Brüder sparten nicht mit spöttischen Bemerkungen, als das Paar die Hochtafel verließ, doch er überhörte sie.
Er stieg mit ihr auf die Wehrmauer und führte sie zu einem geschützten Mauervorsprung. Von dort hatte man einen Blick über das weite Land bis zum glitzernden Meer.
„Du bist hier nicht glücklich“, sagte er schließlich. „Das sehe ich dir an.“
Sie setzte sich auf die niedrige Mauer und stützte die Ellbogen auf die Knie. „Es geht mir gut. Ich mache mir nur Sorgen um die Zukunft.“
Er ließ sich neben ihr nieder. „Ich bin froh, dass du hier bist.“ Es schmerzte ihn, sie unglücklich zu sehen, und er wollte sie aufheitern.
Honora lehnte den Kopf an seine Schulter und blickte über die Festungsanlage. Der Schein der Fackeln, die in eisernen Wandhaltern steckten, flackerte über den Burghof. Auf den Wehrmauern patrouillierten bewaffnete Soldaten. „Innerhalb dieser Mauern bin ich wenigstens vor John sicher.“
„Patrick hat seine Burg unbezwingbar gemacht.“
Sie schwieg, und dann wies sie mit dem Arm zu einer Stelle, wo eine Lücke in der Mauer klaffte. „Was ist dort drüben passiert? Sollte dieses Loch nicht zugemauert werden?“
Ewans Lippen wurden schmal. „Ach, das ist nichts. Nur ein Spalt.“ Seit Jahren drängte er Patrick, ihn zumauern zu lassen.
„Warum ist das Loch dort?“
„Weil mein verdammter Bruder es lustig findet.“
Sie sah ihn verdutzt an. Er wollte ihr den Grund nicht nennen, aber sie gab sich mit seiner ausweichenden Antwort nicht zufrieden. „Was ist passiert?“
Als er weiterhin schwieg, flog ein Lächeln über ihre Lippen. „Du willst also nicht darüber sprechen. Soll ich King Patrick danach fragen?“
Sein Bruder würde ihr voller Freude die peinliche Angelegenheit mit allen Ausschmückungen erzählen. Der ganze Clan kannte die Geschichte. Und mittlerweile steckten die Soldaten den Arm durch das Loch, bevor sie in den Kampf zogen, weil es Glück bringen sollte.
Mit einem tiefen Seufzer schickte Ewan sich in das Unvermeidliche. „Vor Jahren ließ Patrick die Holzpalisaden durch hohe Wehrmauern ersetzen. Ich war damals etwa dreizehn. Bei den Arbeiten fiel ein großer Stein heraus, vermutlich hatte man zu wenig Mörtel genommen. Aber sonst passierte nichts, die Mauer blieb stehen. Connor forderte mich heraus und meinte, ich würde es nicht wagen, durch das Loch zu kriechen.“
Honoras Mundwinkel zuckten verräterisch.
„Und hast du es geschafft?“ Sie stellte die Frage zwar mit gespielter Ernsthaftigkeit, aber Ewan spürte, dass sie sich das Lachen verkniff.
„Nein. Kopf und Schultern zwängte ich zwar hindurch, aber dann blieb ich stecken.“
Diese Schmach hatte er eigentlich nie überwunden. Er hatte das schadenfrohe Lachen seiner Brüder nicht vergessen, während er verbissen versuchte, sich durch die Öffnung zu zwängen.
„Du hast in der Mauer festgesteckt?“
Er starrte sie finster an. Natürlich hatte er festgesteckt. „Ein Abschlussstein löste sich und hätte mir beinahe die Schulter ausgerenkt.“
„Und was haben deine Brüder getan?“ Honora legte eine Hand vor den Mund, Röte stieg ihr in die Wangen.
„Was alle älteren Brüder getan hätten …
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