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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Leberfleck starrte noch immer ins Leere, so reglos, als wäre er eine Statue. Dennoch war das Gefühl, auf eine sehr unangenehme Weise beobachtet zu werden, jetzt so intensiv, dass ich fast meinte, es mit Händen greifen zu können.
    Etwas änderte sich, etwas Unsichtbares und zugleich Unübersehbares, und ich meinte zu spüren, wie sich die feinen Härchen auf meinem Handrücken aufstellten wie das Fell einer Katze, das in die falsche Richtung gestrichen wird; ein Gefühl, wie man es manchmal vor einem Gewitter hat, wenn die Spannung der bevorstehenden Blitze schon in der Luft liegt, sich den Sinnen aber noch entzieht.
    Nach nur wenigen Augenblicken hörte ich ein lauter werdendes Rasseln und Summen, und nun tauchte die elektrisch angetriebene Straßenbahn auf den Gleisen auf, näherte sich in raschem Tempo und bremste dann ebenso rasch ab, begleitet von einem erbärmlichen Kreischen und gelbem Funkenflug unter den eisernen Rädern. Mit der Maschinen eigenen Präzision hielt sie so genau an der Haltestelle an, dass nur der Teil mit dem Fahrer über ihren Rand hinausragte, und ein ganzer Schwall Passagiere stieg aus und strömte laut schwatzend in alle Richtungen davon. Das junge Paar löste zwar nicht die Hände, für einen Moment aber immerhin die Blicke voneinander und stieg in denselben Wagen wie der Mann mit dem Leberfleck, und auch ich wollte dieses Abteil ansteuern, überlegte es mir dann aber anders, denn mir war aufgefallen, dass der zweite Wagen leer war, ungewöhnlich genug für diese Uhrzeit. Außerdem ließ der Fahrer die Glocke schon wieder schrillen, und ich meinte zu sehen, wie das ganze blitzende Gefährt sacht zitterte wie ein Rennpferd, das sich bereit macht, aus seiner Box zu stürzen. Unaufgefordert ergriff ich Allisons Hand und zog sie zu mir herein, und sie hatte noch nicht ganz den Fuß im Wagen, da setzte er sich auch schon lautstark und zitternd in Bewegung. Ich musste mich jetzt wirklich beherrschen, um mir mein Unbehagen nicht allzu deutlich anmerken zu lassen.
    Der Wagen ähnelte von seiner Ausstattung her den von Pferden gezogenen Bussen, die auch heute noch große Teile des Stadtbilds prägten, beschleunigte aber so immens, dass Allison mehr auf die mit Leder gepolsterte Bank fiel, als dass sie sich setzte.
    Das war noch etwas, das ich an diesen möglicherweise kommenden Zeiten nicht mochte: die ständige Eile, als ginge die Welt unter, wenn man auch nur eine Minute später irgendwo ankam.
    »Warum sind wir hier eingestiegen?«, fragte Carter, ein wenig atemlos. »Der andere Wagen ist doch …«
    »… nicht leer«, unterbrach ich sie. Ich setzte mich ebenfalls und ebenfalls nicht ganz freiwillig. Der Wagen beschleunigte mittlerweile so stark, dass ich mich hütete, auch nur aus dem Fenster zu sehen, weil mir dann wahrscheinlich schwindelig geworden wäre. »Das ist vielleicht unsere letzte Gelegenheit, allein zu sein.«
    In Allisons Augen blitzte schon wieder der Schalk, und sie drohte mir spielerisch mit dem Zeigefinger. »Aber, Mister Devlin! Sie wollen allein mit mir sein? Was soll ich denn davon halten?«
    Ich konnte selbst spüren wie mir die Röte ins Gesicht schoss. »Ich meine natürlich … ähm … um ungestört miteinander zu reden«, stammelte ich. »Allein.«
    »Aber wir sind doch auch hier nicht allein.«
    Eine Sekunde lang starrte ich sie nur fragend an, drehte aber dann den Kopf und folgte ihrem Blick, und tatsächlich, sie hatte recht. Wenn auch am anderen Ende des großen Wagens, so war doch auch der Mann mit dem Leberfleck mit uns eingestiegen. Er hatte auf der letzten Bank Platz genommen und starrte aus seinen sonderbaren Augen jetzt in unsere Richtung ins Leere. Seltsam, ich hätte schwören können, dass er ins andere Abteil gestiegen war.
    Und er trug ganz eindeutig keine Brille.
    Das Rollen der Räder und die anderen Fahrgeräusche waren viel zu laut, als dass der Fremde auch nur ein einziges Wort verstehen könnte, aber ich senkte trotzdem die Stimme, als ich weitersprach. Ich sollte mir dabei albern vorkommen, tat es aber nicht.
    »In welcher Beziehung stehen Sie zu Mister Jacobs, Allison?«, begann ich geradeheraus, nachdem ich all meinen Mut zusammengekratzt hatte.
    Carters Lächeln erlosch wie abgeschaltet. »Nicht in der, die Sie anzunehmen scheinen, Mister Devlin«, antwortete sie spröde. »Ich genieße aus ganz bestimmten Gründen sein Vertrauen, und das muss Ihnen genügen. Ich dachte, das hätten wir schon geklärt.«
    »Sie missverstehen mich«,

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