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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Sinnestäuschung, und da war rein gar nichts, worüber wir lachen konnten.
    Der Mann mit dem Leberfleck stand da, nur durch zwei dünne Scheiben aus geätztem Glas und weniger als zwei Yard freien Raum von uns getrennt, und er sah mich aus seinen beunruhigenden Augen an, vollkommen reglos und ohne auch nur zu blinzeln, und das konnte er auch nicht, denn seine Augen waren keine Augen, so wenig wie sein Gesicht wirklich ein Gesicht war. Nichts an ihm war echt, nicht einmal der Leberfleck auf seiner Wange. Ich sah jetzt, dass er sich bewegte, vielleicht als Einziges in seinem ganzen Gesicht, und wenn man es genau nahm, dann war es auch nicht der Leberfleck selbst, sondern etwas darunter , als hätten Knochen und Fleisch unter diesem streng abgegrenzten Bereich irgendwie ihre Festigkeit verloren und versuchten nun beständig wieder ihre ursprüngliche Form anzunehmen, ohne dass es ihnen indes gelang.
    »Aber das ist doch vollkommen … völlig unmöglich«, stammelte Allison. »Er war doch gerade noch hier. Hier bei uns! Wie kann er denn … ich meine, wie … wir haben nicht angehalten, und …« Ihre Stimme schrammte mit jedem Wort näher am Abgrund schierer Hysterie entlang und brach dann ab, gerade als sie endgültig abzustürzen drohte. Aber sie machte mir auch klar, dass sie recht hatte. Es war unmöglich und trotz allem, was mir in den letzten Tagen widerfahren war, war ich noch lange nicht so weit, das vollkommen Unmögliche zu akzeptieren.
    Was allerdings nichts daran änderte, dass ich mich nach einer weiteren Sekunde vom Anblick dieses unheimlichen Nicht-Gesichts losriss, um mit schnellen Schritten in den hinteren Teil des Wagens zurückzueilen und den Boden abzusuchen. Ohne Ergebnis. Auf den geriffelten Metallplatten lag rein gar nichts, sah ich von ein wenig Schmutz ab, den die letzten Fahrgäste hereingetragen hatten. Mein Herz begann wie wild zu klopfen, und mein Mund war mit einem Male so trocken, dass ich mich zusammenreißen musste, um nicht zu husten.
    »Quinn?«, fragte Allison.
    Statt zu antworten, ließ ich mich in die Hocke sinken und fuhr mit den Fingerspitzen über den Boden, fühlte aber auch jetzt nichts als ein wenig Schmutz und noch weniger Feuchtigkeit. Keine Metallsplitter, gleich welcher Größe oder Form.
    Bei diesem Gedanken lächelte ich. Mir war nicht nach Lächeln zumute, aber ich zwang mich dazu, und auch, über meine eigene Torheit den Kopf zu schütteln. Was hier gerade passiert war, das verstand ich nicht, und das war in Ordnung, wenn auch ärgerlich. Aber ganz und gar nicht in Ordnung war, wenn ich anfing, auch noch mehr hineinzugeheimnissen. Menschen lösten sich nicht einfach auf, weder in nichts noch in kleine Metallkügelchen. Das alles hier war zweifellos höchst geheimnisvoll, aber es war schließlich mein Beruf, Geheimnisse zu ergründen. Vielleicht war es an der Zeit, mich selbst zu engagieren.
    Was ich hiermit tat.
    »Quinn?«, fragte Carter zum wiederholten Mal.
    Ich stand mit einem so jähen Ruck auf, dass sie erschrocken vor mir zurückprallte, fuhr herum und war mit wenigen schnellen Schritten wieder am vorderen Ende des Wagens.
    Der Fremde stand noch immer da und starrte mich an. In seinen unheimlichen Augen war immer noch kein Leben, doch irgendetwas an seinem Gesicht hatte sich verändert, und auch wenn ich nicht sagen konnte, was, war diese Veränderung zugleich doch auch unübersehbar. Vielleicht war es ja der Fleck in seinem Gesicht, oder etwas darunter.
    »Wer ist dieser Mann, Quinn?«, fragte Carter. »Kennen Sie ihn?« Sie hatte sich wieder halbwegs gefangen, aber in ihrer Stimme war noch immer eine ganz sachte Spur von Hysterie.
    Es fiel mir immer schwerer, dem Blick dieser unheimlichen Augen standzuhalten, und das sollte nicht sein, denn wie konnte es etwas hinter diesen Augen geben, das mich erschreckte, wenn sie doch gar nicht echt waren?
    Ich verscheuchte auch diesen, fast noch absurderen Gedanken und riss meinen Blick vom Gesicht des Mannes los, um nach vorne zu sehen. Die Bahn näherte sich der nächsten Haltestelle. »Ich werde ihn fragen. Bleiben Sie hier!«
    Ich trat an die offene Tür heran, wartete, bis der Wagen nur noch im Tempo eines zügig ausschreitenden Fußgängers dahinrollte und schwang mich hinaus. Da ich meine verletzte Hand vergessen und vor Schmerz und Überraschung um ein Haar die Haltestange losgelassen hätte, wäre ich beinahe gestürzt und wandelte mein unbeholfenes Stolpern mit deutlich mehr Glück als Geschick in eine Folge

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