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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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andere Angelegenheit?«
    »Nicht lange, nachdem er mit Ihnen gesprochen hat, muss Stanley auf etwas gestoßen sein, das ihn in wirklich große Aufregung versetzt hat. Er hat mir nicht verraten, was, aber er war sehr besorgt. Vor drei Tagen schließlich ist es ganz schlimm geworden. Und dann ist er verschwunden.«
    »Wo?«, fragte ich. »Ich meine: Wo haben Sie ihn das letzte Mal gesehen? In seinem Büro? Bei sich zu Hause?« Oder in Ihrem Bett?
    Carters Augen verdunkelten sich, als hätte ich auch den letzten Gedanken laut ausgesprochen. Ich musste mehr auf meine Betonung achten. Sie schüttelte jedoch nur den Kopf. »Er wollte noch einmal zur Werft hinaus. Irgendetwas überprüfen.«
    »Aber er hat Ihnen nicht gesagt, was?«
    »Er ist mit seinem neuen Spielzeug gefahren, diesem … Silver Ghost . Ein unglaubliches Automobil, das als das beste der Welt gilt – und sich dennoch häufig nicht einmal in Bewegung setzen lässt.«
    »Und seither hat ihn niemand mehr gesehen«, vermutete ich, bevor sie sich gänzlich in Rage reden konnte.
    Allison kämpfte sichtlich um ihre Fassung. »Man … hat den Wagen gefunden. Angeblich hat niemand Stanley gesehen, weder einer der Arbeiter noch die Besucher. Die Polizei hat jeden verhört, dessen sie habhaft geworden ist, aber niemand hat ihn gesehen.«
    »Und jetzt möchten Sie, dass ich ihn suche.«
    Sie nickte. Ein älteres Ehepaar, dessen leicht schäbige Erscheinung nicht so recht in diese Umgebung passen wollte, nahm am Nebentisch Platz, und sie senkte die Stimme fast zu einem Flüstern.
    »Ich traue niemandem mehr, nachdem sich Stanley so seltsam benommen hat.«
    »Auch nicht seiner Familie?«
    »Er hat zwei erwachsene Töchter, die auf dem Festland leben, und eine Frau, aber sie ist die meiste Zeit auf Reisen – und interessiert sich nicht für das Geschäft.«
    Und wohl auch nicht mehr sonderlich für ihren Gatten, nahm ich an. Nicht, dass ich Jacobs nicht verstehen konnte. Allison war wirklich eine ganz entzückende junge Frau.
    Aber das ging mich nichts an.
    »Es gibt da … noch ein Problem«, sagte sie zögerlich und ohne mich direkt anzusehen.
    Ich bemühte mich um einen fragenden Blick.
    »Ich kann Sie nicht bezahlen«, gestand Carter. »Jedenfalls nicht, bevor Stanley zurück ist.«
    »Das macht nichts«, antwortete ich. »Ich wurde bereits bezahlt, und das durchaus mit einer stattlichen Summe. Er wurde zuletzt in der Nähe der Werft gesehen, sagen Sie?«
    Allison nickte, und ich gab dem Kellner mit einem Wink zu verstehen, dass er die Rechnung bringen sollte.



3

    Schon weil ringsum jetzt die Büros und Kontore überall zu schließen begannen und sich der Verkehr seinem allabendlichen Höhepunkt näherte, hatten wir beschlossen, die Straßenbahn zur Werft zu nehmen – die einzige Linie dieser Art in ganz Belfast, in Auftrag gegeben von einem ehrgeizigen Konsortium von Unternehmern und Stadtvätern, die meinten, der Bau der Titanic rechtfertigte jeden technischen Firlefanz.
    Ich war nicht wirklich begeistert von dieser Idee. Belfast setzte ganz bewusst auf seine motorgetriebenen oder auch noch von Pferden gezogenen Busverbindungen, die allesamt vom City Centre aus davonstrebten. Das aber schien nun plötzlich nicht mehr zu genügen. Es musste eine schnelle Verbindung her, die den Hafen mit der Stadt verband, sonst war eine solche Herausforderung wie der Bau der Titanic gar nicht zu schaffen – hatte es geheißen.
    Anfangs hatte man sogar eine U-Bahn geplant, wie sie es nun schon seit dem Ende des letzten Jahrhunderts im überbrodelnden London gab, sich angesichts horrender Planungskosten und einer viel zu langen Bauzeit dann aber für eine spezielle oberirdische Linienführung entschieden. Nicht, dass es dadurch besser wurde. Mit diesem modernen Gefährt erging es mir ganz ähnlich wie Carter mit Jacobs’ Silver Shadow: Ich wusste seinen technischen Fortschritt und seine Raffinesse durchaus zu würdigen, aber es war mir auch irgendwie unheimlich, denn es war nicht nur laut und grell und übel riechend, sondern beanspruchte auch ganz allgemein mehr Aufmerksamkeit von seinem Benutzer, als sie irgendeinem technischen Beförderungsmittel zustehen sollte.
    Die nächste Haltestelle befand sich jedoch nur wenige Minuten Fußmarsch entfernt, und bei allen Ressentiments hatte die neue Straßenbahn doch einen unbestreitbaren Vorteil: Allison hatte es zwar nicht laut ausgesprochen, doch allein ihr Benehmen (und auch das, was sie nicht sagte) machte mir klar, dass sie

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