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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zu verarbeiten, stürmte Watson bereits los und war schon hinter dem Generatorblock verschwunden, noch bevor ich überhaupt ganz begriff, was dieser schreckliche Fund bedeuten mochte. Für Mulligan schien es jedenfalls auf etwas anderes hinzuweisen als für mich. Als er sich endlich (vor mir) in Bewegung setzte, hatte er die Lampe nun in einer Hand und in der anderen wieder seine barbarische Schrotflinte.
    Die Beine, die wir gesehen hatten, gehörten zu einem großen Mann in grober Arbeitskleidung, der so lang ausgestreckt und ruhig auf dem metallenen Boden lag, als schliefe er nur. Selbst sein Gesichtsausdruck wirkte friedlich, fast schon heiter. Das Einzige, das nicht so recht zu diesem absurden Arrangement passen wollte, war die große hellrote Blutlache, in der sein Hinterkopf lag und die sich selbst jetzt immer noch weiter ausbreitete. Watson saß nur auf den Fußspitzen balancierend in der Hocke neben ihm, und seine Finger waren ebenfalls rot, als er am Hals des Mannes nach dem Puls tastete.
    Allerdings nicht sehr lange. Schon nach wenigen Augenblicken schüttelte er den Kopf und stand auf. »Ich kann nichts mehr für ihn tun. Er ist tot.«
    So, wie er das sagte, klang es wie das Eingeständnis einer bitteren persönlichen Niederlage, fand ich. Vielleicht hatte ich doch etwas vorschnell über ihn geurteilt.
    »Was ist passiert?«, fragte Mulligan. Ich fand diese Frage ziemlich überflüssig – woher sollte der Doktor das denn bitteschön wissen? –, doch Watson schien tatsächlich eine Sekunde darüber nachzudenken. Dann sah er nach oben und richtete den Strahl der Rühmkorff-Lampe dorthin, sodass er auf einen langen Streifen aus frischem Blut zeigte, der sich über die Flanke der Maschine zog. Das seltsame Licht der Lampe färbte es fast violett.
    »Er muss dort oben gearbeitet haben, als das Gewitter losging«, sagte er. »Wahrscheinlich hat er das Gleichgewicht verloren und ist heruntergefallen.« Der Lichtstrahl tastete noch einmal über die wie schlafend daliegende Gestalt und blieb an einem großen Schraubenschlüssel hängen, der neben ihrer linken Hand lag.
    »Armes Schwein«, murmelte Mulligan. Was ihn aber nicht daran hinderte, den doppelten Lauf seiner Schrotflinte so unverwandt weiter auf den Toten zu richten, als rechnete er ernsthaft damit, er könnte im nächsten Moment aufspringen und sich auf ihn stürzen. Um ehrlich zu sein: Ich rechnete damit.
    »Wir … müssen weiter«, sagte Watson, noch immer mit hörbar belegter Stimme. Er wandte sich an Chip. »Wohin?«
    Der Junge sah sich auch jetzt wieder auf dieselbe unschlüssige Art um und hob schließlich die Schultern. »Ich bin nicht sicher«, gestand er. »Ich war noch nie hier. Aber ich glaube, da entlang.« Vorsichtshalber legte er sich aber nicht mit einer entsprechenden Geste auf irgendeine Richtung fest.
    »Du glaubst?«, polterte Mulligan. »Was soll das heißen, du glaubst?«
    »Ich war doch noch nie hier«, protestierte Chip.
    »Ich dachte, du gehörst zu ihnen«, erinnerte ihn Mulligan, und nun war ich sicher, einen drohenden Unterton in seiner Stimme zu hören, gegen den auch Watson keinen Protest erhob. »Dann solltest du doch auch wissen, was sie wissen.«
    »Sie sehen mit anderen Augen«, antwortete Chip.
    »Und was genau soll das heißen?«, fragte Mulligan lauernd. »Wenn du uns hinhalten willst, wirst du das bedauern, das verspreche ich dir!«
    »Man kann es nicht erklären«, antwortete Chip mit großem Ernst. »Ihr müsst es selbst sehen.«
    »Dazu müssen wir sie zu allererst einmal finden.« Mulligans Gewehr deutete noch nicht ganz auf den Jungen, aber schon fast.
    »Sag uns einfach, woran du dich erinnerst, mein Junge«, sagte Watson um einiges sanfter als Mulligan. »Ich halte mein Wort, keine Angst. Wir bringen dich nach Hause. Aber Mister Mulligan hat recht. Dazu müssen wir wissen, wo wir suchen müssen.«
    Chip begann seinen verletzten Arm zu massieren, und seine Mundwinkel zuckten. Wahrscheinlich hatte er Schmerzen. »Es ist warm dort. Warm und sicher. Ein großer Raum. Sehr dunkel, und es gibt keine Fenster.«
    Ja, wunderbar, dachte ich. Das half uns weiter.
    »Wie genau sieht dieser Raum aus?«, fragte Mulligan. »Ist er rund, eckig? Gibt es Treppen oder viele Türen?«
    Ich wollte ihn unwillig zum Schweigen bringen, doch Watson kam mir zuvor, indem er mit einer entsprechenden Geste dasselbe mit mir tat und Chip zugleich bedeutete, die Frage zu beantworten.
    »Da sind … Türen«, sagte der Junge schleppend.

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