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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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völlige Dunkelheit, die das Licht der beiden Lampen durstig aufzusaugen schien. Wie groß war dieses verdammte Schiff?
    »Wo genau sind wir hier?«, fragte Watson.
    »Das sind die Ballasttanks«, antwortete Mulligan, bevor Chip es tun konnte. »Sie sind in sechzehn Sektionen unterteilt, die sich bei Wassereinbruch durch Schotts schließen lassen.«
    »Sie waren schon einmal hier?«, fragte ich überrascht.
    »Nein.« Ich konnte Mulligans Kopfschütteln hören. »Aber ich lese alles, was ich über das Schiff finden kann. Da stecken so viele großartige Ideen drin – und die meisten stammen von uns Iren.«
    Ich war angemessen erstaunt – nicht nur, dass Mulligan lesen konnte –, doch meine schon fast automatische Häme schmeckte schal. Dies war nicht die passende Umgebung für solcherlei Gefühle.
    Außerdem machte mir genau diese Umgebung zunehmend zu schaffen. Ich musste daran denken, was Mulligan über die Größe der eisernen Katakomben gesagt hatte, und fragte mich ganz ernsthaft, ob sich das Schiff vor uns möglicherweise im gleichen Maße weiter ausdehnte, in dem wir in seine stählernen Eingeweide vordrangen.
    Zu diesem abstrusen Gedanken passend verstärkte sich das Gefühl bizarrer Nicht-Stille, das mit jedem Schritt zunahm. Aus dem Toben des Weltuntergangssturmes war längst ein tiefes Grollen und Vibrieren geworden, gerade noch an der Grenze des Hörbaren, zugleich aber so machtvoll, dass es jedes einzelne Molekül unserer Körper zum Schwingen brachte. Und der elektrische Geruch in der Luft – anders konnte ich es nicht beschreiben – schien mit jedem Schritt noch intensiver zu werden. Aber zumindest wurde es vor uns endlich wieder hell. Ein – diesmal richtiges – Schott, das sich natürlich am oberen Ende einer wenig vertrauenerweckend aussehenden Leiter in gut zwanzig Fuß Höhe befand, ließ das gelbe Licht von Petroleum- oder Gaslampen ein, und nun meinte ich noch andere Geräusche wahrzunehmen, auch wenn sie mir nichts sagten. Aber es waren richtige Geräusche, Laute, die aus unserer Welt stammten und zumindest die Illusion von Vertrautheit in diese Dimension des Wahnsinns und der Angst brachten, in die wir uns noch dazu freiwillig begeben hatten.
    So dicht hintereinander, dass mir erst hinterher aufging, wie sehr wir die zusammengeschusterte Leiter bis an ihre Grenzen belastet hatten, kletterten wir hoch.
    Oben angekommen fand ich mich in einer Umgebung wieder, die mir deutlich vertrauter erschien, aber kaum weniger bizarr. Blasses Gaslicht, das normalerweise von einer Anzahl jetzt ausnahmslos erloschener elektrischer Glühbirnen unterstützt wurde, offenbarte uns eine Maschinenhalle von wahrhaft zyklopischen Ausmaßen, die trotzdem beengt wirkte, denn sie war hoffnungslos mit den gewaltigsten und wohl auch modernsten Maschinen vollgestopft, die ich jemals zu Gesicht bekommen hatte.
    Obwohl ich herzlich wenig von solcherlei Dingen verstand und es auch gar nicht wollte, meinte ich doch zu erkennen, dass nur sehr wenige von ihnen fertig zusammengebaut oder gar einsatzbereit waren. Dieses Schiff sollte direkt nach dem Winter vom Stapel laufen, doch es sah in großen Teilen so aus, als wären die Arbeiten gerade erst begonnen worden. Ich sah halb zusammen- (oder auseinander-?) gebaute Maschinen, die mich an die Kadaver großer ausgeweideter Metalltiere erinnerten, ganze Bündel nicht angeschlossener elektrischer Kabel und Drähte und halb mannsdicke Dampfrohre, die im Nichts endeten, Eisenbahnloren voller Einzelteile und Werkzeuge, die sich wohl auf eigens dafür verlegten provisorischen Schienen bewegten, und überall auf dem Boden verstreut weitere Ersatz- und Einzelteile und noch mehr Werkzeug.
    Was ich nicht sah, waren Menschen. Durch die schiere Überfülle an Maschinen und … Dingen …, deren Anblick auf meine Sinne einstürzte, war es mir auf den ersten Blick gar nicht aufgefallen, doch meine drei Begleiter und ich schienen tatsächlich die einzigen Menschen in dieser großen Halle zu sein.
    Zumindest die einzigen noch lebenden Menschen.
    Mulligan sog erschrocken die Luft zwischen den Zähnen ein, und ich begriff meinen Irrtum, als mein Blick dem pulsierenden Lichtstrahl seiner Lampe folgte. Er war auf einen gewaltigen Generatorblock von der Größe einer Lokomotive gerichtet, aber Mulligans unübersehbarer Schrecken galt nicht den Abmessungen dieses Kolosses, sondern dem Beinpaar, das hinter seiner Kante hervorlugte. Während Mulligan und ich noch damit beschäftigt waren, den Anblick

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