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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Blick suchte nun einen Punkt irgendwo hinter uns, sodass ich mich umdrehte und bemerkte, dass die Tür der gepanzerten Pförtnerloge aufgegangen und ihr Bewohner auf den eisernen Steg herausgetreten war. Er trug etwas in der Armbeuge, das ich über die große Entfernung nicht genau erkennen konnte. Aber das musste ich auch nicht, um zu wissen, dass es ein Gewehr war.
    »Das ist neu«, sagte Watson ruhig. »Fürchtet ihr uns so sehr, dass ihr jetzt schon Waffen braucht?«
    Unter dem offen stehenden Tor des Werftgeländes erschienen zwei weitere Männer, die ebenfalls mit Gewehren bewaffnet waren, und ich war sehr sicher, dass sich uns aus der Dunkelheit noch mehr Gestalten näherten.
    »Wir brauchen keine Waffen«, antwortete das Chip-Ding. »Wozu sollten sie gut sein? Wir sind nicht … nicht eure Feinde.«
    Das hatte ich nun wirklich schon so oft gehört, dass ich es eigentlich gar nicht mehr zur Kenntnis nahm. Das beinahe eine Sekunde andauernde Stocken in seinen Worten dafür umso deutlicher, sodass ich mich rasch wieder zu ihm drehte und zuallererst Watsons Stirnrunzeln registrierte. Ihm war es also auch aufgefallen. Natürlich war es ihm aufgefallen.
    »Was hast du gesagt?«, fragte er.
    »Wir müssen keine Feinde sein«, antwortete der Junge. »Und es wäre auch sinnlos. Wir wollen nicht … nicht gegen euch kämpfen. Aber wenn ihr uns zwingt, dann werden wir gewinnen.«
    Diesmal hatte das Stocken sogar noch länger gedauert, und seine Worte hatten auch irgendwie an … Wahrhaftigkeit verloren.
    Watson wollte etwas sagen, doch Chip machte eine vage Geste in keine bestimmte Richtung und fuhr fort: »Kommt. Ich bringe euch zu euren Freunden. Sie warten auf euch.«
    »Und wenn wir uns weigern?«, fragte Watson. Gleichzeitig richtete sich Mulligan wieder auf und zog eine doppelläufige Schrotflinte aus seinem Sack. Etwas summte, ein vibrierender Laut wie von einem Schwarm boshafter Metallinsekten, der so schnell wieder verschwand, wie er entstanden war, und irgendetwas flackerte hell in meinen Augenwinkeln und war genauso rasch wieder fort.
    »Das … könnt … ihr … nicht«, antwortete Chip schleppend.
    Auf einer dem bewussten Begreifen entzogenen Ebene musste ich es wohl vorher gespürt haben, denn ich schloss im allerletzten Moment die Augen, aber der Blitz war so grell, dass er mühelos durch meine Lider drang und mir ein schmerzhaftes Zischen abnötigte. Der fast unmittelbar darauf folgende Donner tat sein Bestes, um mir die Trommelfelle zu zerreißen und verfehlte sein Ziel nur um Haaresbreite. Ebenfalls gleichzeitig heulte der Sturm mit doppelter Wucht wieder los, wie um die versäumte Zeit wettzumachen. Wasser klatschte mir wie eine mit eisigen Stacheln besetzte Hand ins Gesicht und ließ mich taumeln, und Chip wankte zurück und wäre gestürzt, hätte Watson nicht blitzschnell zugegriffen und ihn festgehalten.
    Hastig sah ich über die Schulter zurück und suchte nach den beiden Bewaffneten und dem Pförtner, konnte sie aber in dem apokalyptischen Toben, das die Welt hinter mir verschlungen hatte, nicht mehr entdecken. Ich konnte nur hoffen, dass von ihnen keine Gefahr mehr ausging.
    »Bist du wieder zurück?«, hörte ich Watson über das Heulen des Sturmes und das fast ununterbrochene Grollen hinweg schreien. Er bekam keine Antwort, aber ein einziger Blick in die Augen des Jungen machte das auch überflüssig.
    »Waren sie das?«, brüllte Watson. »Haben sie den Sturm angehalten?«
    Chip nickte nur, und Mulligan fügte noch hinzu: »Dann können sie es wieder tun? Wann? Wie viel Zeit bleibt uns?«
    »Nicht viel«, antwortete Chip. »Es hat sie sehr erschöpft, aber sie erholen sich rasch. Ich weiß jetzt, wo der Professor und Ihre Freunde sind.«
    »Dann bring uns zu ihnen!«, verlangte Watson.
    »Und ich darf …?«
    »Du kannst bei ihnen bleiben, wenn du das wirklich willst«, sagte Watson. »Ich verspreche es dir. Aber jetzt bring uns hin, bitte!«
    Chip zögerte noch einen letzten Augenblick, der sich inmitten des infernalischen Sturmes zu einer kleinen Ewigkeit dehnte, doch schließlich nickte er und setzte sich taumelnd, dennoch aber mit raschen Schritten in Bewegung. Ich hatte damit gerechnet, dass er eine der gewaltigen Montage- und Produktionshallen ansteuerte, doch das tat er nicht.
    Er lief geradewegs auf die Titanic zu.



29

    Nach allem, was ich erwartet hatte, war die Stille vielleicht das Überraschendste. Natürlich war es nicht wirklich still, ganz im Gegenteil. Wir hatten das

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