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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zu nehmen schien. Mit der einen Hand riss er Mulligan das Gewehr aus den Fingern und ließ es achtlos fallen, mit der anderen versetzte er ihm einen Stoß, der ihn etliche Schritte zurück in die Arme eines weiteren Maschinenmannes stolpern ließ. Es gelang ihm zwar, sich sofort wieder loszureißen, aber ich hatte das sehr sichere Gefühl, nur weil der Mann es ihm gestattete.
    Mulligan machte unverzüglich einen Schritt nach vorne und wollte sich nach der Schrotflinte bücken, doch Chip sagte noch einmal: »Das ist wirklich nicht nötig, Mister Mulligan. Sie können uns nicht verletzen. Haben Sie denn gar nichts von dem verstanden, was ich Ihnen zu zeigen versucht habe?«
    Er sprach jetzt wieder mit dieser anderen, entsetzlichen Stimme, die so sehr seiner eigenen ähnelte und doch so wenig von einer menschlichen Stimme hatte, wie es bei gesprochenen Worten überhaupt nur ging. Ich redete mir mit einigem Erfolg ein, ihm nur nicht in die Augen sehen zu wollen, weil ich ohnehin wusste, was ich darin erblicken würde, aber in Wirklichkeit tat ich es wohl nicht, weil ich entsetzliche Angst vor dem hatte, was jetzt darin lauerte.
    »Also hast du uns doch in eine Falle gelockt«, stellte Watson fest. »Das bedauere ich. Wo ihr doch angeblich nicht unsere Feinde seid.«
    »Aber ihr seid auch nicht unsere Freunde«, erwiderte Chip.
    Das kam mir irgendwie bekannt vor, nicht nur die Wahl der Worte, sondern auch die Art, wie er sie aussprach, zwar perfekt moduliert, aber zugleich auch … nicht richtig . Es klang nicht nur auswendig gelernt und heruntergeleiert, sondern so emotionslos abgespult wie der Ton einer Edison-Walze oder einer modernen Grammofonplatte.
    Dann ordneten sich meine Gedanken endgültig, und mir wurde klar, wie nahe ich mit diesem Vergleich der Wirklichkeit möglicherweise gekommen war. Ich stand ja tatsächlich einer Maschine gegenüber – also gut, es war ein wenig komplizierter, denn Chip bestand zweifelsfrei (zum allergrößten Teil) aus Fleisch und Blut, doch was seine Worte und sein Handeln im Moment lenkte, das war ganz zweifellos der Intellekt einer Maschine. Und genau mit einer solchen sprachen wir gerade.
    Keiner besonders schlauen, wie mir schien.
    »Nicht eure Feinde«, sagte Chip gerade nicht nur noch einmal und mit exakt derselben Betonung, sondern sogar demselben Ausdruck im Blick – tatsächlich wie eine gesprungene Grammofonplatte, deren Stahlnadel festhing. Mulligans Lampe flackerte, nur ein einziges Mal und so rasch, dass ich es fast nicht gesehen hätte, aber dasselbe wiederholte sich in Chips Augen, und zugleich war es, als … stolperte die Zeit in ihrem normalen Fluss und rumpelte spürbar, bevor sie wieder in ihren gewohnten ruhigen Lauf zurückfand.
    »Aber ihr seid auch nicht unsere Freunde«, wiederholte Chip.
    »Ach nein?«, fragte Mulligan. »Das habe ich jetzt nicht wirklich verstanden. Kannst du es uns vielleicht noch einmal erklären? Am besten so, dass wir es auch wirklich verstehen?«
    »Mulligan!«, sagte Watson streng.
    »Was?«, erkundigte sich Mulligan.
    »Aber ihr seid auch nicht unsere Freunde«, wiederholte Chip. Noch einmal. Und mit einer nun wirklich sonderbar leiernden Betonung. Mulligans Lampe flackerte noch einmal, und jetzt stimmte auch Watsons plumpe Laterne in dieses lautlose Blinzeln mit ein. Erneut hatte ich das bizarre Gefühl, dass die Wirklichkeit eine Art Schluckauf bekam und sich erst nach einem spürbaren Zögern dazu durchringen konnte, weiterzuexistieren. Diesmal konnte ich es nicht als Sinnestäuschung oder einfach nur Unsinn abtun. Etwas geschah. Etwas sehr Schlimmes.
    »Nicht unsere Freunde«, stammelte Chip. »Weil ihr niemandes Freunde seid.«
    »So richtig viele Worte kennen sie ja nicht«, murmelte Mulligan.
    Ich nahm an, dass es ein Scherz sein sollte, aber seine Worte jagten mir einen eisigen Schauer über den Rücken, und auch Watson sah auf eine beunruhigte Art nachdenklich aus.
    »Niemandes Freunde«, nuschelte Chip. Das sonderbare Feuer in seinen Augen flackerte nun genauso heftig wie das Licht der beiden Rühmkorff-Lampen.
    Wenn man es genau nahm, sogar im gleichen Takt.
    Ich hatte das Gefühl, dass dieser Gedanke wichtig war, doch ich kam nicht dazu, ihn zu Ende zu verfolgen, denn nun sah ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung, die weder von Chip noch von Mulligan oder Watson stammen konnte. Instinktiv machte ich einen Schritt zur Seite und entging so im letzten Moment einer schwieligen Hand, mit der einer der vermeintlichen

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