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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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weitere Version der Hölle, in der halb nackte schwitzende Männer voller Ruß und mit verhärmten Gesichtern sich der Sisyphusaufgabe widmeten, den niemals zu stillenden Hunger der Brennöfen zu bedienen. So war es zwar ganz gewiss nicht, aber meine Fantasie bestand darauf, mich mit diesen Bildern zu quälen, und ich wurde mit einiger Mühe zwar sie, nicht aber die nagende Furcht los, die in ihrem Geleit gekommen war. Die Luft schmeckte sogar nach Kohle.
    »Aber hier ist nichts«, brachte ich mühsam hervor, hauptsächlich, um die schreckliche Vision zu verscheuchen.
    Statt zu antworten wies Chip auf eine der offen stehenden Klappen. Mulligans und nur einen Augenblick später auch Watsons Lampe folgten der angegebenen Richtung und zeigten mir nichts als eine gewaltige leere Brennkammer, deren Boden von einem gusseisernen Rost gebildet wurde.
    »Und?«, fragte ich.
    Chip sagte auch dazu nichts, sondern setzte sich schweigend in Bewegung und kletterte, ohne zu zögern, durch die Klappe. Es war ein unwirklicher Anblick, und ein bisschen beängstigend. Dieser Raum hatte noch nie ein Feuer gesehen und war praktisch jungfräulich. Aber ein Brennofen blieb ein Brennofen, und allein dass ich das wusste, steigerte mein Unbehagen, als ich den Jungen hineinklettern sah.
    Auch Watson schien es, seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, ganz ähnlich zu ergehen. Selbst Mulligan, von dem ich allmählich vermutete, dass es gar nichts gab, was ihn erschrecken konnte, zögerte, ihm zu folgen. So blieben wir (vorerst) alle drei vor der Klappe stehen und starrten hinab.
    Chip ging bis zur Mitte der Brennkammer und legte den Kopf in den Nacken, um nach oben zu sehen. Watson richtete seine Lampe dorthin, und der pulsierende Strahl fiel auf die massive Unterseite des gewaltigen Wassertanks, der die Decke der Brennkammer bildete – und das kreisrunde, gut einen Meter messende Loch, das darin gähnte. Silberne und messingfarbene Kettenenden hingen gerade weit herunter, dass der Junge sie mit ausgestreckten Händen erreichen konnte, wenn er sich auf die Zehenspitzen stellte. Der hin und her tastende Lichtstrahl ließ es sich natürlich nicht nehmen, mich mit der Illusion von Bewegung zu erschrecken, die nicht da war.
    Aber vielleicht war es ja auch gar keine bloße Illusion …
    Da war etwas, nur ein Stück über ihm, etwas Kleines und Struppiges mit zu vielen Beinen und starrenden Glasaugen, das sich dem direkten Erkennen durch die große Distanz entzog, aber zugleich auch zu fremd und abstoßend war, um nicht wie ein schmerzender Stachel aus dem Bild herauszustechen.
    »Bleib stehen«, entfuhr es Watson, als Chip den Arm nach den Ketten ausstrecken wollte. Wahrscheinlich hatte er die Spinne ebenfalls gesehen. Und nun, einmal darauf aufmerksam geworden, entdeckte ich noch mehr der kleinen eisernen Scheußlichkeiten, manche faustgroß wie die, die unmittelbar über dem Jungen hing, andere kaum größer als ein Fingernagel und alle regungslos und erstarrt. Nicht alle hatten die Gestalt einer Spinne. Manche glichen Skorpionen oder Käfern oder anderen, filigraneren Insekten, und etliche ähnelten im Grunde nichts Bekanntem. Wenn man ganz genau hinsah, konnte man erkennen, dass auch die Ketten gar keine Ketten waren, sondern aus unzähligen unterschiedlichen Metallkreaturen bestanden, die sich mit Beinen, Zangen, Kiefern und anderen Extremitäten aneinanderklammerten und so eine lebende Verbindung bildeten, wie es gewisse Ameisenstaaten tun, um Bachläufe und andere Hindernisse zu überwinden.
    »Fass nichts an«, rief Watson erschrocken. Aber der Junge hörte nicht hin, sondern griff nur mit der unversehrten Hand nach oben und versuchte sogar, den anderen Arm zu befreien, den Watson ihm so sorgsam an den Leib gebunden hatte. Seine Kraft reichte nicht, sich mit einer Hand in die Höhe zu ziehen, und sein Gesicht verzerrte sich unter dem Schmerz, den er sich selbst zufügte. Dennoch hatte er sich schon eine halbe Handspanne weit in die Höhe gequält, bevor Watson erschrocken die Luft einsog, steifbeinig zu ihm hereinkletterte und ihn herunterriss, bevor er ihn so heftig zu schütteln begann, dass seine Zähne aufeinanderschlugen.
    »Bist du verrückt?«, herrschte er ihn an. »Was tust du da?«
    Mulligan kletterte ebenfalls in den Ofen, und um nicht als Feigling dazustehen folgte ich ihm. Watson echauffierte sich weiter und redete sich anscheinend gerade selbst in Rage, doch ich hörte gar nicht hin, sondern sah nach oben durch die

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