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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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riss er sich auf dem letzten Stück los und wäre wohl auf der Stelle losgestürmt, hätte Watson ihn nicht mit einer raschen Bewegung festgehalten.
    »Nicht so schnell, mein Junge«, sagte er kopfschüttelnd. Er hatte zwar ein Lächeln aufgesetzt, aber der scharfe Unterton seiner Stimme strafte es augenblicklich Lügen. »Wir hatten eine Vereinbarung.«
    »Ich habe Sie zu ihnen gebracht.« Chip versuchte sich loszureißen. »Ich habe mein Wort gehalten.«
    »Der Professor«, sagte Watson, »und die anderen.«
    Allison nicht zu vergessen.
    »Ich weiß nichts von ihnen«, beteuerte Chip. »Ich will doch nur nach Hause.«
    »Wir lassen dich gehen«, versprach Watson, »sobald wir unsere Freunde gefunden haben.« Watson ließ Chip los, doch mein Vertrauen in das Wort des Jungen war nicht annähernd so groß wie das seine. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter, um ihm klarzumachen, dass ich ihn nicht so einfach laufen lassen würde. Watson bedachte mich mit einem missbilligenden Blick, enthielt sich zu meinem Erstaunen aber jeden Kommentars und ließ den pulsierenden Strahl seiner Lampe in die Runde tasten.
    Das flackernde Licht brach sich auf metallenen Winkeln und Flächen, riss fremdartige Formen und Details aus der Dunkelheit und enthüllte mir Dinge, die ich nicht erkannte und nie hatte sehen wollen.
    »Sie sind … hier«, stammelte Chip. »Wir sind alle hier.«
    Seine Hand wies in die Dunkelheit und wollte sich losmachen, doch ich packte nun mit beiden Händen fest genug zu, um ihm die Lust auf einen weiterenFluchtversuch zu vergällen. Ich tat ihm damit gewiss sehr weh, aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Nicht jetzt, wo wir Allison so nahe waren.
    Ich lauschte. Praktisch auf dem gesamten Weg hier herunter hatte ich mir eingebildet, Allisons verzweifeltes Flehen um Hilfe zu hören, und sosehr mir diese Stimme auch zugesetzt hatte, hatte sie mir doch zugleich auch Kraft gespendet und mich nicht aufgeben lassen. Vermutlich wäre ich ohne sie gar nicht so weit gekommen.
    Auch Mulligan hatte sich inzwischen weit genug erholt, um sich schnaubend auf die Beine zu kämpfen und seine Lampe zu heben. Die vereinten Lichtstrahlen enthüllten uns mehr von unserer Umgebung. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, doch es war … anders. Die unruhig tastenden Lichtstrahlen machten es mir unmöglich, die Größe des Kesselraumes abzuschätzen, und ich begriff nur, dass er gewaltig sein musste. Und er war nur so vollgestopft mit … Dingen, deren bloßer Anblick verstörend wirkte und die den Gedanken lächerlich erscheinen ließen, Allison in diesem Chaos zu finden.
    »Dort vorne!« Watsons Lichtstrahl deutete auf weiteres aufblitzendes Kettengeflecht gerade am Rande des Sichtbaren, und alles in mir sträubte sich innerlich, als er einen ersten Schritt in die entsprechende Richtung machte. Tatsächlich erkannte ich einen menschlichen Umriss, als wir näher kamen. Es war nicht Allison, doch das war auch schon das einzig Beruhigende, womit der Anblick dienen konnte. Der Mann trug die einfachen Kleider eines Arbeiters und musste zu Lebzeiten eine beeindruckende Erscheinung gewesen sein, sicherlich über sechs Fuß groß und so breitschultrig, dass ihm auf der Straße wohl jeder Platz gemacht hatte, ohne dass es auch nur eines Stirnrunzelns bedurfte. Jetzt schnürte mir sein Anblick schier die Kehle zu, obwohl ich mir eingebildet hatte, auf alles vorbereitet zu sein. Doch das war ich nicht.
    Der Mann war zweifellos tot, und das wohl schon seit geraumer Zeit. Sein Körper war unter einem Wust der aus Millionen bizarrer Metallinsekten gebildeten Ketten verborgen, und aus seinem vertrockneten Fleisch ragten zahlreiche dünne Metalldorne und Stifte jener Art, an die ich selbst unangenehme Erinnerungen hatte. Seine Haut war grau und so rissig wie altes Packpapier, und er musste mindestens die Hälfte seines Gewichts verloren haben, wenn nicht mehr. Ausgezehrt, das war das erste Wort, das mir bei seinem Anblick in den Sinn kam und auch das einzige, das seinen Zustand beschrieb. Etwas hatte den unglückseligen Mann aller Lebensenergie beraubt und machte sich nun daran, ihn zur Gänze aufzuzehren.
    Und er war nicht der Einzige.
    Watson hockte sich vor den Leichnam, wie um ihn zu berühren, richtete sich dann aber unverrichteter Dinge wieder auf und ließ seinen Lichtstrahl weiterwandern. Neue Körper tauchten aus der dräuenden Schwärze auf, manche so ausgebrannt und tot wie der bedauernswerte Mann, den wir zuerst

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