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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Ende nehmen wollte – und mindestens zwei Decks tiefer betraten wir einen weiteren, schier endlosen Korridor, dessen Boden nicht mehr massiv war, sondern aus einem eisernen Gitterrost bestand, unter dem bodenlose Schwärze lauerte. Unsere Schritte erzeugten unheimlich verzerrte Echos auf dem stählernen Rost.
    »Dort vorne.« Mulligan war stehen geblieben und stocherte mit dem pulsierenden Lichtstrahl seiner Lampe in der Dunkelheit vor uns. »Da geht es zum Kesselraum.«
    Ich war zu müde (und verängstigt), um auch nur irgendetwas zu sagen, doch mir entging auch keineswegs der fragende Blick, den Watson mit dem Jungen tauschte. Ebenso wenig wie der Umstand, dass Chip viel zu lange zögerte und schließlich auch mit viel zu wenig Überzeugung nickte. Er hatte kein einziges Wort mehr gesprochen, seit wir uns von Adler und seiner verängstigten Truppe getrennt hatten, und er war womöglich noch blasser geworden. Ich nahm an, dass er schlimme Schmerzen hatte.
    Aber ich hatte auch Adlers Worte nicht vergessen, und so wenig ich ihm auch glauben wollte, seine Bemerkung hatte einen Keim nagenden Zweifels in mir zurückgelassen. Was, wenn Chip längst nicht mehr Chip war und uns geradewegs in die nächste Falle lockte?
    »Noch ist es nicht zu spät, um umzukehren, Mister Devlin«, sagte Watson, beinahe als hätte er meine Gedanken erraten. Wahrscheinlich war es nicht sehr schwer, sie auf meinem Gesicht abzulesen. »Wenn Sie sich beeilen, dann holen Sie Captain Adler wahrscheinlich noch ein.«
    In seinem letzten Satz war mindestens ein Wort, das mir ganz und gar nicht gefiel, aber das war nicht der Grund, weshalb ich beschloss, erst gar nicht zu antworten. Vielmehr fragte ich mich zum ersten Mal ernsthaft, warum Mulligan und er überhaupt hier waren. Ich war mitgekommen, um Allison zu retten, ganz egal, ob ich dafür nun mein Leben aufs Spiel setzen musste oder nicht, aber Watson kannte sowohl sie als auch Nikola kaum, und was Mulligan antrieb, war mir sowieso ein Rätsel.
    Wesentlich unbequemer als auf dem allergrößten Teil der hinter uns liegenden Strecke ging es am Ende des Gangs eine haarsträubend lange metallene Leiter hinab. Ich schätzte, dass wir gleich mehrere Etagen weit in die Tiefe stiegen. Sehen konnte ich es nicht, denn um diese halsbrecherische Kletterpartie zu bewältigen, brauchten auch Mulligan und Watson beide Hände, sodass die Lichtstrahlen ihrer Lampen wild herumstocherten und nur dann und wann eine rostige Reflexion oder einen matten Lichtblitz aus der Dunkelheit rissen.
    Unten angekommen sah ich den schwarzen Metallboden zu spät, sodass ich die nächsten Schritte humpelnd und mit nur quälend langsam nachlassenden Schmerzen im Knöchel zurücklegte. Die Dunkelheit bestürmte mich von allen Seiten und raubte mir quasi den Atem, ununterbrochen schien ich jetzt Allisons Stimme zu hören, die mich verzweifelt um Hilfe anflehte.
    »Was ist das hier?«, fragte Watson, während er seine Lampe wieder in beide Hände nahm und den pulsierenden Strahl über die Wände tasten ließ. Ich sah schwarz lackierten Stahl und unzählige Nietenköpfe, die den Wänden ein sonderbar pockennarbiges Aussehen verliehen, aber ich erblickte auch zahlreiche rechteckige Klappen in den Wänden. Die allermeisten davon waren geschlossen, einige wenige aber standen weit auf, und Watsons Lichtstrahl schnitt in die wohlbekannte Schwärze dahinter. Ich hatte keine Ahnung, was das alles bedeutete, aber der Anblick erinnerte mich doch sehr an das, worüber Chip vorhin gesprochen hatte.
    »Nach einem Kohlelager sieht es jedenfalls nicht aus«, stellte ich fest.
    »Bunker«, korrigierte mich Mulligan. »Es heißt Kohlebunker. Die sind ganz in der Nähe.«
    Er sah Chip an, und nach kurzem Zögern rang sich der Junge immerhin zu einem – wenig überzeugenden – Nicken durch.
    »Über uns sind die Dampfkessel«, fuhr Mulligan fort. Es machte ihm offenbar weiterhin Spaß, mit seinem Wissen über die Titanic zu glänzen. Im Grunde war es jetzt ja auch nützlich. »Hier wird bald eine ganze Armee von Heizern Tag und Nacht Kohle in die Öfen schaufeln, um Dampf für die Turbinen zu erzeugen.«
    Seine Worte beschworen beklemmende Bilder vor meinem inneren Auge herauf. Ich sah einen riesigen, düsteren Raum, deutlich größer als der, in dem wir tatsächlich standen, der ausschließlich vom flackernden Widerschein zahlloser roter Feuer erhellt wurde, die hinter den gierig aufgerissenen Schlünden der Öfen loderten – nichts anderes als eine

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