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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nicht neben der Toten auf die Knie gesunken, sondern zwei oder drei Schritte zurückgewichen. Ich erinnerte mich nicht einmal, ihn losgelassen zu haben, doch er hatte die Gelegenheit nicht genutzt, um zu fliehen, wie ich es erwartet hätte. Sein Blick war klar und sein eigener, nicht der trübe Glanz eines Geistes, der unter dem Einfluss des Hive stand, und dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – jagte mir das, was ich darin las, einen eisigen Schauer über den Rücken.
    »Überleg dir lieber genau, was du …«, begann ich, doch Watson hob besänftigend die Hand und unterbrach mich auch in dazu passendem Tonfall: »Lassen Sie ihn, Mister Devlin.«
    »Aber …«
    »Du hast uns hergebracht, wie du es versprochen hast«, fuhr Watson zu Chip gewandt fort. »Du bist uns nichts mehr schuldig.« Er ließ einen Moment verstreichen, zwang sich zu einem Lächeln und fügte dann noch hinzu: »Bist du denn ganz sicher, dass du das willst?«
    »Ich gehöre hierher«, antwortete Chip monoton. »Wir sind alle hier zu Hause.«
    »Sie bringen diese Menschen um!«, empörte sich Mulligan. »Und sie … sie fressen sie auf, um Himmels willen!«
    »Wir verwerten nur kostbare Ressourcen. Wäre den Körpern eurer Toten besser gedient, wenn wir sie wegwerfen würden wie wertlosen Abfall?«
    Sowohl Watson als auch Mulligan war so wenig wie mir entgangen, wie sich Chips Wortwahl geändert hatte. Und nicht nur die.
    Erneut hatte sich etwas in seinem Blick verschoben , und diese Veränderung war vielleicht die allerschlimmste von allen. Ich hätte es ertragen – schon weil ich damit rechnete – seinen Geist von einem fremden und stärkeren Willen übernommen und vergewaltigt zu sehen, doch Chip sprach nur aus, was er tatsächlich dachte. Er meinte und glaubte diesen Unsinn!
    »Glaubst du wirklich an den Schwachsinn, den du da von dir gibst, Jungchen?«, fragte Mulligan, mindestens so erschüttert wie Watson und ich, aber auch sehr zornig. Er versetzte dem Kettenbündel neben sich einen wuchtigen Tritt, der Metall und Glas heftig scheppern und den Kopf der toten Frau auf die Seite rollen ließ. Ich sah nicht schnell genug weg, sodass mir weder der Anblick der dreizinkigen Kupfergabel erspart blieb, die aus ihrem Nacken ragte, noch der Zustand des vertrockneten Fleisches ringsum. Diese grausame Verletzung war der amen Frau zu Lebzeiten zugefügt worden, und irgendetwas sagte mir, bei vollem Bewusstsein.
    »Das war ein Mensch, du undankbarer Bengel! Eine Frau mit einer Familie, vielleicht mit einem Mann oder Kindern! Sie hatte noch ihr halbes Leben vor sich und war bestimmt keine nützliche Ressource!«
    Watson legte ihm besänftigend die Hand auf die Schulter, und Mulligan schluckte alles hinunter, was ihm noch auf der Zunge lag, auch wenn ich sah, wie schwer es ihm fiel.
    »Suchen wir den Professor und die anderen«, forderte uns Watson auf. Sein Tonfall machte klar, für wie aussichtslos er dieses Unterfangen hielt, und mir wäre es wahrscheinlich ganz genauso ergangen, hätte ich solcherlei Gedanken zugelassen. Aber das tat ich nicht, denn es ging um Allison. Ich gab ihm zu verstehen vorauszugehen, und Watson machte genau zwei Schritte, bevor das Schicksal wohl zu dem Schluss kam, uns nun lange genug in ein Gefühl falscher Sicherheit eingelullt zu haben.
    Zunächst glaubte ich, das Licht der beiden Rühmkorff-Lampen wäre erloschen, doch dann wurde mir mein Irrtum bewusst: Das Licht der beiden klobigen Induktionslaternen brannte ruhig und ohne das mindeste Flackern weiter, doch ihre Strahlen waren kaum noch zu erkennen, denn der metallene Dschungel ringsum leuchtete plötzlich in einem fast überirdisch schönen vielfarbigen Licht, nicht nur Grün und Rot oder Golden, sondern in Tausend anderen Farben, von denen ich und vermutlich auch noch kein anderer Mensch viele noch niemals zuvor gesehen hatte. Gleichzeitig erwachten überall rings um uns herum zahllose Geräusche und wimmelnde chaotische Bewegungen, zu fremdartig und bedrohlich und einfach zu viele, um etwas anderes zu tun, als meine Sinne hoffnungslos zu überfordern. Ich stand einfach nur da, unfähig, mich zu rühren oder einen klaren Gedanken zu fassen und vergaß sogar das Atmen. Es war vorbei, und nun würden wir den Preis für unseren Hochmut bezahlen.
    Was mich am meisten schmerzte, war die Erkenntnis, dass ich nun auch Allison nicht mehr helfen konnte.
    »Kann mir das vielleicht mal einer erklären?«, drang Mulligans ganz und gar unfeierliche Stimme in meine

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