Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)
in mein Schicksal gefügt. Jeder weitere Protest hätte ohnehin nur unnötig Zeit gekostet und darüber hinaus rein gar nichts genützt.
Außerdem überwog meine Erleichterung, sie tatsächlich schon wieder erholt und einigermaßen unversehrt zu sehen. Sie humpelte zwar noch leicht, aber in ihrem so zerbrechlich aussehenden Körper verbarg sich wohl deutlich mehr Kraft, als ich angenommen hatte, und hinter ihrem mädchenhaften Lächeln deutlich mehr Willensstärke, als es den Anschein hatte, denn sie beantwortete alle meine Fragen die zurückliegenden Ereignisse betreffend auf ein und dieselbe Weise, nämlich mit einem wortlosen Lächeln und sonst gar nichts.
Auch die Fahrt zurück ins Zentrum dauerte mindestens doppelt so lange wie erwartet. Es war längst dunkel geworden, und die Lichter hinter den Fenstern des großen Gebäudes waren zum allergrößten Teil schon erloschen, als wir endlich aus dem Wagen stiegen und ich hinter Allison und Nikola durch eine Drehtür ging, mit der ich unangenehme Erinnerungen verband.
Ich war dennoch froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. War es mir schon unangenehm genug gewesen, mit dieser lärmenden und hoffnungslos überfüllten Straßenbahn zu fahren, so hätte ich für das, was ich in diesem schnaubenden und übel riechenden Automobil empfand, fast ein neues Wort erfinden müssen. Meine Knie hatten gezittert, als wir vor Allisons Pension gewartet hatten, und auch der zweite Teil der Fahrt hatte daran nichts geändert; allerhöchstens dass sich jetzt noch heftiges Herzklopfen hinzugesellt hatte. Ich hatte mich vollkommen bestätigt gesehen, was meine Vorurteile gegen diese hässlichen, lauten (und darüber hinaus gefährlichen) Ungetüme anging: Es gab durchaus Erfindungen, die die Welt nicht brauchte, und Automobile wie dieser amerikanische Ford T gehörten ganz unzweifelhaft dazu.
Es wurde Zeit, dass wir wieder verschwanden.
Der Portier war immer noch derselbe wie gestern Nachmittag. Er ließ es sich natürlich nicht nehmen, mich mit einem entsprechenden Blick darüber in Kenntnis zu setzen, dass er sich nicht nur an mich erinnerte, sondern auch, was er von meinem neuerlichen Auftauchen hier hielt. Allerdings begrüßte er Allison fast schon herzlich und Nikola mit einem professionellen Nicken. Sie wechselten ein paar freundliche Worte, bevor er ihr einen Schlüssel aushändigte und eine Notiz in einem großen Journal machte, das aufgeschlagen vor ihm auf dem Tresen lag. Ich konnte der Versuchung, mich auf dem Weg dorthin immer wieder verstohlen umzusehen, zwar mit Mühe widerstehen, aber es war auch gar nicht nötig. Die misstrauischen Blicke des Burschen waren fast schon körperlich zu spüren. Wenn Captain Adler ihn noch einmal befragte, dann würde er eine Menge zu erzählen haben.
Wir betraten einen der beiden modernen Aufzüge. Jetzt, wo wir uns zu dritt darin aufhielten, kam er mir deutlich kleiner vor als gestern, und hatte auch viel von der flüchtigen Faszination des Neuen verloren. Außerdem roch es schlecht darin.
Auch wenn ich eher mutmaßte, dass das an zweien seiner drei momentanen Passagiere lag.
Ich geduldete mich, bis die Türen mit einem metallischen Scharren zugeglitten waren und die Kabine losfuhr. »Gibt es etwas Neues von Ihrem Onkel?«, fragte ich dann.
»Woher soll ich das wissen?«
»Sie haben mit dem Portier gesprochen«, erinnerte ich, um das Summen des Aufzugs zu übertönen, das mir das Gefühl gab, im Inneren einer großen Maschine eingeschlossen zu sein.
»Er weiß nicht, was passiert ist«, erwiderte Allison. »Niemand weiß, dass Stanley verschwunden ist, abgesehen von einigen wenigen Eingeweihten.« Sie lächelte humorlos. »Wie lange würde dieses Geheimnis wohl noch geheim bleiben, wenn man es einem Pförtner anvertraut?«
War das dieselbe Frau, die mir noch vor wenigen Stunden am liebsten die Augen ausgekratzt hätte, weil ich es gewagt hatte, ein wenig spöttische Kritik an ihrer geliebten Arbeiterklasse zu üben? Ich erwiderte vorsichtshalber nichts darauf, sondern schwieg, und auch Nikola schien plötzlich etwas unter der mit Holz vertäfelten Decke entdeckt zu haben, das seine volle Aufmerksamkeit beanspruchte. Endlich erreichte der Aufzug die neunte Etage, und wir stiegen aus.
Ich hatte erwartet, dass wir eines der Büros ansteuerten, doch Allison öffnete stattdessen eine schmale Tür, die zum Treppenhaus führte. »Ich hoffe doch, die Herren sind einigermaßen gut zu Fuß. Es sind noch einmal sechs
Weitere Kostenlose Bücher