Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)
glauben, wenn ich es Ihnen einfach nur erzählen würde.« Jacobs deutete auf den Wagen. »Was hätten Sie gesagt, hätte ich Ihnen davon erzählt?«
Das hätte gerade einen Mann wie Nikola überzeugen müssen, aber das Gegenteil war der Fall. Er wirkte eher erschrocken, doch diesmal ließ ihm Jacobs gar keine Zeit mehr zu widersprechen, sondern drehte sich um und machte zugleich eine befehlende Geste, der sich keiner von ihnen entziehen konnte.
Ich wollte das nicht. Etwas war hier … falsch , so falsch, dass ich es fast mit Händen greifen konnte, aber ich vermochte es immer noch nicht in Worte zu kleiden.
Allison nahm mir die Entscheidung ab, indem sie mit schnellen Schritten um den Wagen herum an Jacobs’ Seite trat. Sie sah aus wie das personifizierte schlechte Gewissen, aber darunter spürte ich immer noch den Trotz, den ich so an ihr mochte, auch wenn ich selbst nicht wusste, warum eigentlich.
Wir überquerten die Straße, und mir fiel nicht nur erneut der scharfe Geruch auf, der in der Luft lag, sondern auch, wie unheimlich und abweisend das große Ziegelsteingebäude wirkte. Jacobs eilte eine rostige Metalltreppe hinauf, die so altersschräg und erbärmlich an der Wand lehnte, dass er es sich unter normalen Umständen wohl dreimal überlegt hätte, freiwillig auch nur einen Fuß darauf zu setzen, und unter unseren Schritten bedrohlich zu ächzen begann. Ich wollte immer weniger dort hinauf, und wäre es hier nur um mich gegangen, dann wäre ich jetzt ganz bestimmt nicht hier. Nicht einmal auf dieser Seite der Stadt. Aber ich würde Allison auch sicher nicht alleine lassen.
Jacobs öffnete eine Tür, die auf hörbar rostigen Angeln in Höhe des ersten Stockwerkes ins Gebäude führte, doch ich begriff erst, wo wir waren, als ich hinter Allison und Jacobs eintrat und die mit Öl verschmierten Ketten sah, die in dicken Bündeln oder auch einzeln von der Decke hingen. Wie vom sprichwörtlichen Donner gerührt blieb ich stehen.
»Um Gottes willen, Allison, kommen Sie zurück!«, keuchte ich. »Raus hier! Schnell!«
»Keine Sorge«, sagte Jacobs rasch. »Wir sind nicht in Gefahr. Sie ist nicht hier.«
»Sie?«, fragte Allison nervös. Obwohl Jacobs und sie kaum drei Schritte vor mir standen, konnte ich sie nur noch als Schemen erkennen, die mit der Dunkelheit ringsum und miteinander zu verschmelzen begannen. Aber ich spürte ihre Furcht. Vielleicht auch meine eigene.
»Sie … Sie wissen davon?«, fragte ich erschrocken. War da ein Schatten, der sich irgendwo an der Decke über uns bewegte, ein großes, monströses Ding, das auf staksenden Beinen lautlos näher kam?
»Sie hätten auf den Jungen hören sollen, Mister Devlin«, sagte Jacobs. »Er hat Ihnen doch meinen Brief übergeben, oder?«
»Das schon, aber …« Und erst jetzt begriff ich, was ich da gerade gehört hatte. »Soll das heißen, Sie haben gewusst , dass dieses … Ding hier lauert?«, krächzte ich.
»Aus keinem anderen Grund habe ich Sie hierher bestellt, Mister Devlin«, erwiderte Jacobs. »Aber ich wollte nicht, dass …«
»… ich gefressen werde?«, fiel ich ihm zornig ins Wort. »Oder auch bei lebendigem Leibe eingesponnen und ausgesaugt?«
»Wovon … reden Sie, Quinn?«, fragte Allison nervös.
»Das hätte sie nicht getan«, behauptete Jacobs. »Ich versichere Ihnen, dass ich Sie gewiss nicht in Gefahr bringen wollte. Als mir klar wurde, was hier geschieht, habe ich Ihnen sofort eine Nachricht zukommen lassen.«
»Sie hätten selbst kommen können!« Immerhin waren wir verabredet gewesen.
»Ich war leider verhindert«, antwortete Jacobs. »Glauben Sie mir, Devlin, ich war nur um Ihr Wohl besorgt. Ich habe diesem Jungen explizit aufgetragen, Ihnen meine Nachricht auszuhändigen und dafür zu sorgen, dass Sie auf gar keinen Fall dieses Gebäude betreten. Ich habe ihm fünf Sixpence dafür gegeben.«
»Fünf?«, vergewisserte ich mich.
»Ich wette, er hat versucht, Ihnen noch einen weiteren Sixpence abzuknöpfen, oder sogar noch mehr.« Jacobs war immer noch nicht mehr als ein verschwommener Schatten, aber ich meinte sein schadenfrohes Grinsen regelrecht hören zu können. »Manchmal ist es nicht klug, zu großzügig zu sein. Nur zu oft erntet man Gier statt Dankbarkeit.«
Auch wenn ich es ganz gewiss nicht wollte, im Grunde glaubte ich Jacobs. Ich hatte Chip nicht nur mehr oder weniger genötigt, mich hierher zu bringen (und Jacobs’ Brief ignoriert, der an Eindeutigkeit nicht zu überbieten gewesen war), sondern durch
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