Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)
meine vermeintliche Großzügigkeit sicher auch die Gier des Burschen geweckt; der an diesem Tag wohl ohnehin das Geschäft seines Lebens gemacht hatte.
»Und Sie wollen mir das hier zeigen?«, fragte ich.
»Nein«, sagte Jacobs. »Das ist eher eine … unschöne Begleiterscheinung. Im Moment ist sie nicht hier, aber wir sollten trotzdem nicht zu lange an diesem Platz verweilen.«
Dem konnte ich mich nur anschließen. »Und was dann?«
»Würdet ihr mir verraten, was das alles hier zu bedeuten hat?«, beschwerte sich Allison.
»Wir müssen nach unten. In den Keller. Aber geben Sie acht, wo Sie hintreten.« Jacobs machte eine wedelnde Geste. »Es ist nicht ganz ungefährlich hier.«
»Gut, dass Sie mich warnen«, sagte ich spöttisch.
»Ich will ja nicht, dass Sie zu Schaden kommen«, gab Jacobs zurück. »Kommen Sie. Wir müssen nach unten.« Allison forderte er nicht eigens auf, sondern legte ihr in einer vertrauten Geste den Arm um die Schultern, die mir einen dünnen, aber tiefen Stich versetzte.
Missmutig (und weil mir gar keine andere Wahl blieb) folgte ich den beiden, blieb aber schon nach wenigen Schritten wieder stehen, als mein Fuß gegen etwas stieß, das klappernd davonschlitterte, bis es von einer Kette aufgefangen wurde, die daraufhin ein lang anhaltendes schepperndes Klirren anstimmte. Ich sah nun doch nach oben, und mein Herz begann so schnell und hart zu klopfen, dass ich es bis in die Schläfen spürte. Selbstverständlich ließ es sich meine Fantasie nicht nehmen, mir einen monströsen Schatten vorzugaukeln, der lautlos und auf acht haarigen Beinen über uns an der Decke entlanghuschte.
Aber diesmal war es tatsächlich nur meine Fantasie. »Was tun Sie, Mister Devlin?«, fragte Jacobs. »Sie sollten leise sein. Und sich beeilen.«
Was den ersten Punkt anging, stimmte ich vollkommen mit ihm überein. Ich sah trotzdem nach unten und strengte meine Augen an, und nach einer weiteren Sekunde konnte ich mein Glück kaum fassen, als ich sah, was ich da weggekickt hatte.
Es war ein langläufigersechsschüssiger Colt. Ohne zu zögern, bückte ich mich und hob ihn auf.
»Was haben Sie da?«, fragte Allison. Die beiden Schatten lösten sich voneinander, und sie kam zurück und legte demonstrativ die Stirn in Falten, als sie den Colt in meiner Hand sah. »Hat hier jemand seine Waffe verloren?«
»Ja«, antwortete ich. »Ich.« Ich ignorierte ihren fragenden Gesichtsausdruck und klappte die Trommel heraus, um die Munition zu kontrollieren. Sie enthielt noch zwei Patronen, und da ich die Waffe für verloren gehalten hatte, hatte ich auch keine Reservemunition eingesteckt. Aber zwei Patronen waren besser als nichts, und ich war froh, den Revolver zurückzuhaben. Gute Waffen waren sehr teuer.
»Wir sollten jetzt wirklich …«, begann Jacobs, und ich brachte ihn zum Verstummen, indem ich die Trommel mit einem gekonnten Schwung aus dem Handgelenk wieder einschnappen und die Waffe aus derselben Bewegung heraus unter der Jacke verschwinden ließ.
Jacobs machte ein anerkennendes Gesicht. »Ich wusste nicht, dass Sie mit Billy the Kid verwandt sind.«
Wir gingen weiter. Ich wich nicht nur den Kettensträngen so sorgfältig aus, wie es mir bei der Dunkelheit hier drinnen möglich war, mir fiel auch auf, dass Jacobs dasselbe tat, und das mit einer schon fast traumwandlerischen Sicherheit.
Am anderen Ende der großen Halle angekommen, blieb Jacobs stehen und wartete, bis ich zu ihm aufgeschlossen hatte, bevor er eine schwere Feuerschutztür öffnete, die ich nicht einmal sah . Dahinter führte eine gegossene Treppe in schwindelerregendem Winkel in eine von trübem Gaslicht erhellte Tiefe. Ein schweres, an- und abschwellendes Geräusch und ein Schwall ebenso abgestandener wie chemisch scharf riechender Luft schlug uns entgegen, und ich musste nicht zum ersten Mal gegen den Impuls ankämpfen, einfach davonzurennen.
Stattdessen folgte ich Jacobs die schmalen Stufen nach unten, wobei ich mich mit der linken Hand an der schimmeligen Mauer abstützte und mich nicht nur dabei ertappte, die rechte griffbereit in der Nähe der wiedergefundenen Waffe zu halten, sondern mich vor allem darum zu sorgen, ob Allison auf den ausgetretenen Stufen die Balance hielt.
Der Keller, in den wir gelangten, war ebenso heruntergekommen wie der Rest des Gebäudes, aber eindeutig noch unheimlicher, denn nun konnte der Bau seinen wahren Charakter nicht mehr verhehlen. Überall stießen wir auf Spuren dessen, was dieses Gebäude
Weitere Kostenlose Bücher