Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)
hätte ich es sogar getan, doch natürlich wäre Nikola so etwas nie in den Sinn gekommen.
Ganz im Gegenteil legte er die Hand auf eines der filigranen Speichenräder, lauschte mit halb geschlossenen Augen und ließ sich dann in die Hocke sinken, um unter den Wagen zu sehen.
»Was haben Sie, Nikola?«, fragte Allison. »Was sehen Sie?«
Nikola antwortete nicht gleich, sondern ließ seinen Blick noch etliche Sekunden aufmerksam über die Unterseite des bizarren Gefährts tasten, ehe er sich wieder aufrichtete und den Kopf schüttelte. »Nichts«, sagte er. »Gar nichts. Das ist es ja gerade.«
Allison blickte fragend, und Nikola trat nun doch einen Schritt zurück und betrachtete das seltsame Gefährt mit einem demonstrativen Stirnrunzeln. »Da ist gar nichts. Kein Motor.«
»Wahrscheinlich weil es elektrisch funktioniert«, sagte sie.
»Das dachte ich zunächst auch. Elektrofahrzeuge sind ja gar nicht so selten, auch wenn zurzeit Dampfautomobile und Autos mit Verbrennungsmotoren die Nase vornhaben.« Nikola schüttelte den Kopf. »Aber auch ein Elektromotor ist ein Motor, oder? Da ist gar nichts.«
Allison versuchte zu lachen, aber es misslang. Sie ging ebenfalls in die Hocke und begutachtete den Wagen nicht nur von unten, sondern danach auch noch ausgiebig von allen Seiten. Ich tat nach einem Moment dasselbe – mit demselben Ergebnis.
»Das ist wirklich erstaunlich«, sagte sie schließlich. Mir wäre ein anderes Wort dafür eingefallen, doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Nikola zog es vor, gar nichts zu sagen. Ich hätte mir gerne eingeredet, dass er verwirrt wirkte, aber in Wahrheit sah er einfach nur erschrocken aus.
»Ich muss so einiges von dem zurücknehmen, was ich über dich gedacht habe, Stanley«, sagte Allison. »Und ehrlich gesagt, wie ich gestehen muss: Das ist wirklich eine ganz und gar erstaunliche Maschine.«
»Wenn das eine Maschine ist«, murmelte ich.
»Was soll es denn sonst sein?«
Ich konnte nur mit den Schultern zucken und bedauerte schon fast, diese Bemerkung überhaupt gemacht zu haben. »Ich hatte gehofft, Ihr Onkel könnte uns das beantworten«, fügte ich mit einem schrägen Blick auf Jacobs hinzu.
»Hören Sie endlich auf«, sagte Allison, die meine Worte offensichtlich schon wieder in den falschen Hals bekommen hatte; jetzt aber eher resigniert als zornig. »Wenn Sie sich moralisch über mich erheben wollen, dann …«
»Das habe ich nicht vor«, unterbrach ich sie. »Ich bin nur verwirrt, das ist alles.«
»Und was gibt es da nicht zu verstehen?«, fragte Allison müde. »Ich bin eine verkrachte Studentin, die sich an einen reichen alten Mann herangemacht hat. War das ungefähr das, was Adler Ihnen erzählt hat?«
Ich schwieg.
»Ja, das kann ich mir denken«, sagte sie mit einem bitteren Lächeln. »Und wissen Sie, was das Schlimmste ist? Er hat sogar recht.«
»Das geht mich nichts an«, wiederholte ich meine Worte von vorhin. Ich wollte dieses Gespräch nicht führen. Nicht jetzt und schon gar nicht mit ihr und erst recht nicht, wenn sich der Mann, über den wir sprachen, weniger als zwei Meter entfernt befand. Und ich glaubte es auch nicht.
»Es war nicht so, Stanley«, murmelte Allison, nun wieder an Jacobs gewandt. »Ich habe es gewiss nicht so gemeint.«
»Doch, das hast du«, sagte Jacobs. »Aber das macht nichts. Ich wusste es schließlich vom ersten Moment an.«
»Was?«, fragte Allison. Sie klang fast entsetzt.
»Mein Kindchen«, seufzte Jacobs. »Sieh mich an, und sieh dich an. Hältst du mich wirklich für so naiv, auch nur eine Sekunde lang ernsthaft zu glauben, dass eine so junge, wunderschöne Frau wie du sich in einen fetten alten Mann wie mich verlieben könnte?« Er schüttelte abermals den Kopf. »Aber es ist schon in Ordnung. Wir haben beide von diesem kleinen Arrangement profitiert, nicht wahr?«
»Stanley, ich …«
»Und wir haben auch wirklich Wichtigeres zu besprechen«, fuhr Jacobs fort und drehte sich wieder zu Nikola und mir um. »Kommen Sie. Und keine Fragen. Ich kann mir denken, was jetzt in Ihnen vorgeht, aber glauben Sie mir einfach, es geht schneller, wenn ich es Ihnen zeige.«
»Dieses Fahrzeug …«, begann Nikola noch einmal, wurde aber schon wieder, zwar weiter mit einem unerschütterlichen Lächeln, aber auch in ganz sacht ungeduldigem Ton von Jacobs unterbrochen: »… ist nur eines von etlichen erstaunlichen Dingen, die ich Ihnen zeigen muss, Nikola.«
»Muss?«
»Sie würden es mir ohnehin nicht
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