Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)
deshalb dieses Ungeheuer gezüchtet, weil ihr niemanden erschrecken wollt?«, fragte ich.
»Diese Spezies ist der perfekte Jäger«, antwortete Chip. »In einer urbanen Umgebung wie dieser gibt es kein besseres Werkzeug.«
»Werkzeug wofür?«, fragte ich böse. »Um Terror zu verbreiten?«
»Das Konzept des Terrors ist uns geläufig«, antwortete Chip, »aber in dieser Phase eher kontraproduktiv.«
»Welcher Phase?«, murmelte ich.
Neben mir begann sich Jacobs stöhnend zu regen, sodass das stählerne Netz klirrte, in dem ich gefangen war. Seine Lider flatterten, doch seine Augen blieben weiterhin trüb. Ein gequältes Ächzen kam über seine Lippen, und er versuchte den Kopf zu drehen. Es gelang ihm nicht ganz, aber ich sah, dass ein dünner silberner Dorn aus seinem Hals ragte, von dem sich ein noch dünnerer, wie ein Wurm geringelter Draht erstreckte, der im Gewirr des Netzes verschwand.
»Stanley?«, flüsterte Allison.
Die vertraute Stimme schien zu Jacobs’ gemartertem Geist durchzudringen, denn sein Blick klärte sich nun doch, und er versuchte erneut, den Kopf zu heben.
»Allison?«, murmelte er.
»Ich bin hier, Stanley«, antwortete Carter.
»Allison«, stöhnte Jacobs. »Lauf … weg!«
Chip hob die Hand, und die Spinne explodierte zu einem Schemen aus wirbelnden Beinen und reiner Bewegung. Ich spannte mich in Erwartung des kommenden Schmerzes, doch das Ungeheuer sprang nicht mich an, sondern stürzte sich auf Allison und umklammerte sie zur Gänze mit ihren langen, haarigen Beinen. Allison schrie, bäumte sich auf und kreischte in reiner Todesangst, doch dann erschlaffte sie jäh, als ihr die Spinne die Klauen in den Hals schlug.
Auch ich brüllte und stemmte mich nun mit aller Gewalt gegen die Ketten, erreichte damit aber nur, dass das Metall noch tiefer in meine Haut schnitt und dass mir das Blut über die Hände lief.
So schnell sie sie angesprungen hatte, ließ die gigantische Spinne wieder von Allison ab und stakste zu Chip zurück, um dort erneut zu erstarren. Allison seufzte noch einmal tief und erschlaffte dann endgültig, und ich erkannte entsetzt, dass auch aus ihrem Hals nun ein dünner silberner Dorn ragte. Blut lief aus der Einstichstelle und färbte ihr Kleid dunkel.
»Was hast du getan, du verdammtes Ungeheuer?!«, brüllte ich.
»Machen Sie sich keine Sorgen um sie, Quinn«, sagte Chip …
… und verwandelte sich abermals.
Nach einem Moment des Klirrens und Rasselns und ebenso grässlicher wie durch und durch unmöglicher Bewegung stand Allison Carter an seiner Stelle da und führte den Satz lächelnd und mit ihrer Stimme zu Ende: »Es geht mir gut.«
Das war zu viel. Ich bäumte mich auf und riss und zerrte und zog mit aller Gewalt an den stählernen Fesseln, warf mich hin und her, brüllte und schrie und tobte so lange, bis mich die Kräfte verließen und mein Herz zu zerspringen drohte. Ich verlor nicht wirklich das Bewusstsein, aber es dauerte eine Weile, bis ich auch nur wieder einen halbwegs klaren Gedanken fassen und den Kopf heben konnte, um zu Allison hinzusehen. Der echten Allison.
Sie hatte das Bewusstsein verloren. Ihre Augen waren nur halb geschlossen, aber leer, und die Wunde an ihrem Hals blutete immer noch heftig.
»Was hast du getan?«, wimmerte ich. »Du hast sie umgebracht!«
»Nein«, stöhnte Jacobs. In seiner Stimme war etwas, das mir einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. »Sie sollten ihr wünschen, dass es so wäre, aber so gnädig ist es nicht.«
»Was … was soll das … heißen?«, flüsterte ich. Ich bekam keine Antwort, aber ich hatte das schlimme Gefühl, es bald ohnehin zu erfahren.
»Du täuschst dich, Stanley«, sagte die Allison-Kopie mit Allisons Stimme und Allisons einnehmendem Jungmädchen-Lächeln. »Würdest du nur aufhören, dich gegen uns zu wehren, dann hättest du längst verstanden, dass du uns nicht zu fürchten brauchst.«
»Hör auf«, wimmerte Jacobs. »Sprich nicht mit mir! Nicht mit ihrer Stimme!«
Die Allison-Kopie schüttelte den Kopf. Sie sah traurig aus. »Wir bedauern dich, Stanley Jacobs«, sagte sie. »Wir wissen, dass du dieser Frau in letzter Zeit nicht mehr getraut hast, doch dieses Gefühl war unbegründet. Das wissen wir nun, wo wir auch sie in uns aufgenommen haben. Wenn es dir ein Trost ist: Sie war am Anfang dein Feind und hat deine Nähe gesucht, um deine Geheimnisse zu ergründen und dich in aller Öffentlichkeit bloßzustellen. Aber dann hat dieses komplizierte Gefühl von ihr Besitz
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