Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Kopf hob, sah ich dem Mann mit dem Leberfleck ins Gesicht, dem wir in der Bahn begegnet waren. Ich war nicht überrascht.
    »Wie viele von euch gibt es schon?«, fragte ich.
    »Du wirst alles verstehen«, sagte der Mann mit einer Stimme, die noch immer ein bisschen wie die Allisons klang, aber auch nach etwas Scharrendem und Rostig-Metallenem, das mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. »Bald wirst auch du zu uns gehören.«
    Die Spinne setzte sich wieder in Bewegung, blieb jedoch nach einem Schritt erneut stehen, als der Mann den Kopf auf die Seite legte und mich fragend ansah. Worauf wartete er?
    »Ich will nicht zu euch gehören!«
    »Das liegt nicht in deiner Macht«, schnarrte der Mann.
    »Aber wir müssen es doch irgendwie anders regeln können«, sagte ich hastig. Ich hatte schreckliche Angst. »Deine … deine Art und unsere. Wir müssen uns nicht bekämpfen!«
    »Nein, das müssen wir nicht«, antwortete der Mann. »Wir sind niemandes Feind. Doch ihr seid auch niemandes Freund. Ihr würdet niemals eine andere Art neben euch dulden. Ihr zerstört die Welt, die euch hervorgebracht hat und euch ernährt, und ihr tötet einander aus nichtigen Gründen, und oft genug ganz ohne Grund. Ihr würdet unsere Existenz niemals hinnehmen.«
    Ich hätte ihm gerne widersprochen, doch wie hätte ich es gekonnt?
    »Und deshalb müssen wir jetzt sterben?«
    »Nur eure Körper. Ihr werdet in uns weiterexistieren. Du wirst ewig leben. Auf eine gewisse Weise.«
    »Damit kommt ihr nicht durch«, presste Jacobs hervor. »Ihr könnt uns vielleicht umbringen, aber das wird euch nichts nutzen! Wir sind zu stark für euch! Und zu viele!«
    »Das wissen wir«, antwortete der Mann. »Wir sind stark, aber ihr seid zu viele. Noch.« Er gab der Spinne einen Wink, und sie setzte ihren Weg fort, blieb vor mir stehen und richtete sich auf die beiden hinteren Beinpaare auf. Ihre vorderen Gliederpaare ruhten auf meinen Schultern und den straff gespannten Ketten über meinem Kopf, und die mörderischen Fänge blitzten nun unmittelbar vor meinem Gesicht. Meine Angst erreichte die Grenzen des Vorstellbaren und wuchs noch weiter.
    »Du wirst alles verstehen, sobald du zu uns gehörst«, sagte der Mann mit dem Leberfleck. Er hob die Hand, und die Giftklaue der Spinne näherte sich meinem Hals.
    Das Metall fühlte sich kalt an und auf schwer in Worte zu fassende Weise fast angenehm, wie lebendig, aber das würde nur noch einen Sekundenbruchteil so bleiben, und ich wartete auf den finalen grausamen Schmerz und das Unbeschreibliche, das ihm folgen musste.



13

    Der Schmerz kam, und er war sogar noch schlimmer, als ich es erwartet hatte, ein weißglühender Dolch, der sich in meinen Hals und abwärts grub und eine Schleppe aus reiner Agonie hinter sich herzog und noch etwas, das noch einmal unendlich viel schlimmer war und nach mir selbst zu greifen versuchte, um mir jedes Geheimnis und auch noch den letzten Gedanken zu entreißen.
    Ein donnerndes Krachen erscholl, und statt ihre Giftklauen ganz in mein Fleisch zu rammen, prallte die Spinne mit solcher Wucht gegen mich, dass ich wohl quer durch den Raum geschleudert worden wäre, hätten mich die stählernen Ketten nicht nach wie vor mit unbarmherziger Kraft gehalten. Um den Preis allerdings, dass mir die Luft aus den Lungen getrieben wurde und eine Lohe gänzlich anderen Schmerzes hinter meinen Augen explodierte. Blut lief in einem dünnen Rinnsal an der Seite meines Halses hinab.
    Als das rote Feuer wieder durchsichtig genug wurde, um mehr als Substanz gewordenen Schmerz zu erkennen, hatte die Spinne von mir abgelassen und versuchte sich behäbig umzudrehen – wenigstens das, was noch von ihr übrig war.
    Sie war nicht mehr komplett.
    Der Anblick erinnerte auf schon fast unheimliche Weise an unser gestriges Erlebnis, nur um ein Hundertfaches vergrößert: Der Spinne fehlten etliche ihrer gerade noch acht Beine und auch fast die Hälfte ihres Schädels sowie ein langer dreieckiger Streifen aus dem aufgedunsenen Hinterleib. Darunter kamen jedoch kein zerfetztes Fleisch und dampfendes Blut zum Vorschein, sondern ein Durcheinander aus zerrissenen Drähten und anderen mechanischen … Dingen, die sich bewegten und stampften und zischten und gelbe Funken und ätzenden grauen Rauch ausstießen. Schreie und Kettenklirren und entsetzte Rufe erfüllten den Raum wie das Getöse eines fernen Weltuntergangsgewitters, irgendwo darin auch Allisons Stimme, die in schierer Panik kreischte, und von der ich