Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)
dann so laut, dass es in den Ohren gellte: »Stanley!«
Und es war tatsächlich Jacobs, auch wenn ich mich am liebsten geweigert hätte, den einst so beeindruckenden großen Mann in diesem Zerrbild von einem Menschen wiederzuerkennen.
Aber wer stand dann vor uns?
Ich drehte mit einem Ruck den Kopf und starrte die hochgewachsene, massige Gestalt an, die ich bisher für den Stanley Jacobs gehalten hatte, in dessen Auftrag ich das erste Mal hier gewesen war, und der meinen Blick ruhig aus Augen erwiderte, in denen ich vergeblich nach etwas Menschlichem suchte.
»Wer …?« Ich verbesserte mich. »Was sind Sie?«
»Und was haben Sie mit Stanley gemacht?«, fügte Allison wimmernd hinzu.
»Es geht ihm gut«, antwortete das Jacobs-Ding. »Er ist bei uns. Wir wollen niemandem etwas zuleide tun.«
Die Spinne klapperte zustimmend mit ihren metallenen Fängen, und Allison wimmerte leise. Ich hätte gern dasselbe getan, doch stattdessen raffte ich all meinen Mut zusammen und sah dem unheimlichen Doppelgänger so fest ins Gesicht, wie ich konnte.
»Was sind Sie?«, fragte ich. »Was haben Sie mit Jacobs gemacht. Und was … was haben Sie mit uns vor?«
Zumindest die letzte Frage hätte ich mir wohl auch selbst beantworten können, doch zugleich hatte ich solche Angst vor dieser Antwort, dass ich den Gedanken mit Gewalt abbrach. Verstohlen versuchte ich an meinen Revolver zu gelangen, aber die Ketten schnürten sich sofort wieder enger zusammen und pressten meinen Arm so fest an den Leib, dass ich mir einbildete, meine Knochen knacken zu hören.
»Bitte unterlassen Sie das, Mister Devlin«, sagte der Jacobs-Doppelgänger ruhig. »Sie fügen sich nur selbst Schmerzen zu, und das ist nicht in unserem Sinne.«
Ich entspannte mich, und sofort ließ auch der Druck der Ketten nach, wenn auch nicht sehr. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?«, knurrte ich. »Ich möchte Ihnen natürlich auf keinen Fall Schwierigkeiten bereiten.«
Das Jacobs-Ding nickte. »Sarkasmus. Eine menschliche Eigenart, die wir noch nicht ganz verstanden haben.«
»Dann sind Sie kein Mensch«, schloss ich.
»Wir können alles sein, was wir wollen«, antwortete der Doppelgänger. Ich wartete darauf, dass er weitersprach, doch stattdessen geschah etwas ungleich Entsetzlicheres:
Eine Sekunde lang stand das Ding, das wie ein Mensch aussah und es ganz bestimmt nicht war, wie zur Statue erstarrt da, dann hob ein merkwürdiges Klingen und Rasseln an, und eine unheimliche Wellenbewegung huschte über die ganze Gestalt. Alle Farben verblassten, dann sämtliche Details, und für einen unendlich kurzen Moment meinte ich einer Statue aus grauem Metall gegenüberzustehen, die nur noch grob menschliche Umrisse hatte. Dann erschienen Risse auf der grauen Oberfläche, Tausende und Tausende und Abertausende von Rissen, als wäre sie aus unzähligen winzigen Metallsplittern zusammengesetzt, von denen keines dieselbe Form und Größe hatte wie das andere und die sich nun mit einem unheimlichen metallenen Rascheln voneinander lösten.
Und neu zusammenfügten.
Die Gestalt schrumpfte, veränderte ihre Proportionen und Größe, und dann kehrten Details und Farbe zurück, und ich stand einem Burschen von zwölf oder vielleicht dreizehn Jahren gegenüber, der ehemals teure, jetzt aber schäbig gewordene Kleider trug, die weder in der Größe noch im Schnitt so recht zusammenpassen wollten.
»Sie hätten wirklich auf mich hören sollen«, sagte Chip. »Das hier lag nicht in unserer Absicht, aber Sie werden einsehen, dass wir Sie nun auch nicht mehr gehen lassen können.«
»Das verstehe ich doch«, sagte ich. »Geben Sie meine Hand frei, damit ich an meine Waffe komme, und ich jage mir selbst eine Kugel in den Kopf und nehme Ihnen die Arbeit ab.«
Ein bisschen wunderte ich mich selbst, woher ich den Mut für diese Worte nahm, doch der vermeintliche Junge nahm sie mir nicht übel. Nach dem, was ich gerade gehört hatte, vermutete ich, dass er ihren wirklichen Sinn gar nicht verstand.
»Wenn Ihr Tod für uns von Nutzen wäre, dann hätten wir Sie bereits getötet«, sagte Chip.
Wieder rasselte die Spinne zustimmend mit ihren stählernen Mandibeln, und ich zwang mich, meinen Ekel niederzukämpfen und das fast ponygroße Ungetüm anzusehen. Das Wissen, es nicht mit einem Geschöpf aus Fleisch und Blut zu tun zu haben, sondern mit einer Kreatur aus Metall, Glas und unheimlichen Mächten, änderte nichts an dem Grauen, mit dem mich der Anblick erfüllte.
»Habt ihr
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