IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)
immer im Dunkeln eingeschlossen und ich schrie und schrie, aber er kam nie.«
Sie erklommen die nächste Treppe, dann die übernächste, bis sie den Dachboden erreichten. Der Essiggeruch war überwältigend stark und in der Luft lag eine merkwürdige, undefinierbare Spannung. Jack leuchtete den Flur ab. Der Lichtstrahl reflektierte im Zickzack von den Türen zu den Wänden und zur Decke.
»Es war irgendwo in der Mitte«, erklärte Randy. »Die erste Tür, die offenstand.«
Karen sagte: »Wenn wir hier jemanden finden, Jack, dann bin ich weg. Ich hau sofort hier ab, Taschenlampe hin, Taschenlampe her, das sag ich dir.«
Er klopfte ihr mit gespielter Gelassenheit auf die Schulter. »Ach, komm schon, Karen, wird schon alles gut gehen.« Ihm selbst schnürte nackte Angst regelrecht die Luft ab, aber gleichzeitig verspürte er einen starken Drang weiterzugehen. Wenn da jemand war, wollte er mit ihm reden. Er wollte wissen, was derjenige hier zu suchen hatte und was er über das Gebäude wusste. Hier gab es so viele unerforschte Geheimnisse. Warum hatten alle Skulpturen ihre Augen geschlossen? Warum waren die Fenster mit Netzen versehen und alle Türen verriegelt?
Und warum hatte man das Haus 1926 so abrupt geräumt und seither weder betreten noch ernsthaft nach einem Käufer gesucht, sondern einfach sich selbst überlassen?
Das ungleiche Trio ging den Gang hinunter, Jack vorneweg. Schließlich erreichten sie die halb geöffnete Tür und den Raum, in dem Randy auf Lester gestoßen war. Sie hielten an. Jack fragte: »Da drin?«, und leuchtete hinein. Das Zimmer schien völlig verlassen zu sein.
»Hallo?«, rief er. »Ist da jemand?«
»Na klar «,antwortete Karen. »Der Geist der zukünftigen Weihnacht.«
Jack streckte seine linke Hand aus, um die Tür ein Stück weiter zu öffnen. Sie schwang ohne große Probleme auf, obwohl die Scharniere etwas schwergängig waren. Er wartete. Drinnen war alles still. Leichter Regen prasselte gegen die Fensterscheiben. Lavendelblau, dideldei. Lavendel, hier gehör ich hin … Jack betrat das Zimmer, drehte sich um und machte zwei schnelle Schritte rückwärts, für den Fall, dass sich Lester hinter der Tür versteckt hielt. Mit der Taschenlampe suchte er jeden Winkel ab.
»Es ist leer«, erklärte er lächelnd. »Hier ist niemand und hier war auch niemand.«
»Woher willst du das denn so genau wissen?«, erkundigte sich Karen.
»Ach, Mensch, denk doch mal drüber nach. Hast du schon mal ein besetztes Haus gesehen? Müll, wo man nur hinsieht: Decken, leere Flaschen, dreckige Windeln, Campingkocher. Dieser Raum wurde 60 Jahre lang nicht mehr benutzt.«
Randy stand ernst und mit vor Schreck geweiteten Augen im Türrahmen und sagte nichts. Jack beugte sich zu ihm hinunter und wuschelte ihm durch die Haare.
»Vielleicht war dieser Lester nicht ganz so real, wie du gedacht hast, hm?«
»Bist du böse auf mich?«, fragte Randy.
Jack schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. War doch ein ordentliches Abenteuer, oder etwa nicht? Und glaub mir, Partner, mir ist es wesentlich lieber, dass wir hier drinnen niemanden gefunden haben.«
Randy antwortete: »Das glaube ich.« Er sah beinahe ein wenig enttäuscht aus. Vielleicht hatte er sich Lester wirklich nur eingebildet. Und das kleine, gesichtslose Mädchen, das ihm durch die Bäume hindurch zugewinkt hatte.
Jack sagte: »Lasst uns bis ganz zum Ende durchlaufen, nur um sicherzugehen.«
Randy sah sich stirnrunzelnd um. »Kann ich hier warten?«
»Allein? In der Dunkelheit?«
»Es ist hell genug.«
»Und was willst du hier drin machen, so ganz allein?«
»Mich ausruhen, mehr nicht. Meine Füße tun weh.«
Als Beweis dafür, dass es ihm ernst war, lehnte er sich mit dem Rücken an die Wand und ließ sich langsam herabgleiten, bis er auf dem Boden saß. Jack sah Karen an, die meinte: »Es wird ihm schon nichts passieren. Er muss völlig erschöpft sein. Und wir sind doch nur eine Minute weg.«
»Also gut«, sagte Jack. »Aber du bleibst genau da, wo du bist. Kein Herumspazieren. Der Boden ist teilweise nicht so sicher, wie er sein sollte, verstanden? Besonders dort am hinteren Ende.«
»Ja, ist gut!«, stimmte ihm Randy zu. Er umfasste seine Knie und legte den Kopf in den Schoß. Er sah so klein und müde aus, dass Jack sich fühlte wie ein blöder, egoistischer, grobmotorischer Unmensch. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er seinen Sohn so spät nachts hierher gebracht hatte, wo er doch längst in seine Bettdecke gekuschelt
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