IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)
genügend Druck auf den Staat auszuüben, sodass die Subventionen gestrichen wurden.«
Für eine Weile schwieg Jack. Während Helena Manfield geredet hatte, war plötzlich und ganz unerwartet ein Bild von Randy vor seinem geistigen Auge aufgetaucht. Seine großen, ernsthaften Augen, das kurze Zögern, bevor er anfing zu reden. Er konnte ihn beinahe fühlen, ihn fast riechen. Sein warmes Haar, das immer nach Keksen zu duften schien.
»Sie weinen«, stellte Helena Manfield nüchtern fest.
»Ich bin müde, das ist alles.« Diesmal versuchte er nicht, die Tränen wegzuwischen.
»Sie müssen mir erzählen, wo der Schuh drückt. Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«
»Ich weiß nicht recht«, antwortete Jack. »Ich fürchte, das kann niemand.«
»Na ja, wir können es doch zumindest einmal miteinander versuchen«, schlug Helena Manfield im Plauderton vor. »Ich glaube, von Herzschmerz verstehe ich eine ganze Menge.«
»Wissen Sie, wie es sich anfühlt, einen Menschen zu verlieren?«, erkundigte sich Jack.
Helena Manfield richtete sich auf. »Ich bin eine unverheiratete Frau, wissen Sie? Aber es hätte anders kommen sollen. Mein Verlobter fiel im Zweiten Weltkrieg. Er war bei der Luftwaffe und wurde über Ploieşti in Rumänien abgeschossen. In jener Nacht starben über 300 junge Soldaten der Luftwaffe; und das nur, weil die Alliierten behauptet hatten, dass dort kaum Einheiten stationiert seien.«
Sie atmete scharf ein. Nach 45 Jahren war sie noch immer verbittert über die Geschehnisse der Vergangenheit. »Und danach – na ja, niemand konnte ihm das Wasser reichen. Ich habe es vorgezogen, alleine zu bleiben.«
Jack sagte: »Das tut mir leid.«
Helena Manfield lächelte abwesend. »Das muss es nicht. Es ist schon so lange her. Ich sollte nicht so viel herumjammern. Haben Sie auch jemanden verloren?«
»Meinen Sohn, Randy. Er ist neun Jahre alt. Ich habe ihn zu The Oaks mitgenommen.«
»Und?«
»Na ja, ich weiß, dass es völlig verrückt klingt. Aber er ist spurlos verschwunden.«
»Wann?«, wollte Helena Manfield wissen.
»Letzte Nacht. Spät in der letzten Nacht. Wir haben das Gebäude zweimal von oben bis unten durchsucht, aber wir konnten ihn nicht finden. Er versteckt sich vermutlich Gott weiß wo.«
»Haben Sie die Polizei verständigt?«
Jack schüttelte den Kopf. »Er ist immer noch im Haus, da bin ich mir absolut sicher. Und abgesehen davon wurde mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass ich nicht mit der Kooperation der örtlichen Beamten rechnen darf. Nicht, wenn es um The Oaks geht.«
»Sie haben Ihren neunjährigen Sohn verloren und wollen nicht die Polizei alarmieren?«
Jack zuckte die Achseln. »Wenn man es so betrachtet, klingt es unverantwortlich, nicht wahr? Doch ich bin ganz ehrlich der Meinung, dass die Polizei mir in diesem konkreten Fall nicht helfen kann.«
Helena Manfield betrachtete ihn schweigend.
»Lassen Sie es mich mal so sagen«, fuhr Jack fort. »Zuallererst würden mich die Polizisten mit der Frage konfrontieren, was ich zu so später Stunde mit einem Neunjährigen in The Oaks verloren hatte. Danach würden Sie wissen wollen, warum ich ihn umgebracht habe.«
»Sie glauben nicht, dass er tot ist?«
»Nein, er ist nicht tot. Zumindest glaube ich, dass er nicht tot ist. Ich bete darum, dass er noch lebt. Aber die Angelegenheit ist nicht so einfach, wie sie sich anhört.«
»Glauben Sie mir«, antwortete Helena Manfield. »Sie hört sich auch alles andere als einfach an.«
Sie dachte einen Moment nach und sagte dann: »Was halten Sie davon, wenn ich Sie mit Olive bekannt mache? Sie ist zwar sehr schüchtern, aber sie redet Klartext. Vielleicht kann sie Ihnen ein paar Tipps geben, wo sich Ihr Junge versteckt halten könnte. Vielleicht gibt es in The Oaks ein verborgenes Zimmer oder einen Geheimgang oder so etwas.«
»Olive Estergomy lebt immer noch hier in der Gegend?«
»Aber sicher, sie hat ein Haus draußen in Sun Prairie.«
Jack erwiderte: »Das ist ja tatsächlich ganz in der Nähe. Höchstens 15 oder 20 Meilen. Können Sie sie anrufen?«
»Natürlich kann ich sie anrufen.« Sie hob ihre Tasche vom Boden auf, öffnete sie und nahm ein kleines Adressbuch mit einem Einband aus Krokodilleder heraus. »Und bevor Sie mich fragen, weshalb ich sie anrufe, verrate ich Ihnen gerne, das ich schon seit ewigen Zeiten nach einem Vorwand suche, um mich bei ihr zu melden. Ich langweile mich hier zu Tode und stecke außerdem liebend gerne meine Nase in Dinge, die mich nichts
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