IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)
weiß auch nicht.«
Sie sah ihn durch ihre verschmierten Brillengläser an. »Nach was genau haben Sie denn gesucht? Um welches Jahr geht es denn?«
»1926.«
»1926 lebte ich schon hier in Madison. Mein Vater war Professor für Geschichte an der Universität. Douglas Manfield, vielleicht haben Sie schon von ihm gehört. Er hat ein berühmtes Standardwerk über etruskische Inschriften verfasst.«
Sie stand auf, ging zu ihm hinüber und streckte ihm die Hand entgegen. »Helena Manfield«, stellte sie sich vor.
Jack erhob sich von seinem Stuhl und gab ihr die Hand. »Jack Reed.«
»Sie sind nicht von hier?«
»Nein, aus Milwaukee. Reed Muffler & Tire. Es gibt fünf Läden in der Stadt.«
Helena Manfield ließ sich auf der Kante seines Schreibtischs nieder. Trotz ihres Alters wirkte sie dabei graziös wie eine Tänzerin. Ihr graues Haar hielt sie mit einer schwarzen Samtschleife zusammen und obwohl ihre Haut mit Falten überzogen war, musste sie einmal wunderschön gewesen sein. Irgendwie fühlte sich Jack an Katharine Hepburn erinnert, wenn er sie ansah.
»Warum wühlt sich ein Werkstattbesitzer hier in Madison durch die Zeitungen von 1926?«
»Ich habe nach Artikeln über The Oaks gesucht. Es ist ein Pflegeheim in der Nähe des Lake Wisconsin.«
»Ich kenne The Oaks. Oder besser: Ich kenne die Geschichte von The Oaks.«
»Wirklich? Die scheint fast niemand zu kennen. Und wenn doch, dann rückt er nicht mit der Sprache raus.«
»Na ja, weil es ein Irrenhaus und kein Pflegeheim war, deshalb. Viele der Ortsansässigen waren strikt dagegen, als sie von den Plänen erfuhren. Aber letzten Endes wurde es dann ja sowieso geschlossen.«
»Das weiß ich«, sagte Jack. »Ich will wissen, weshalb es geschlossen wurde und unter welchen Umständen.«
Helena Manfield legte fragend den Kopf auf die Seite.
»Wissen Sie, ich hatte vor, das Anwesen zu kaufen. Mein Plan war, das Gebäude in ein Luxushotel umzubauen. Deshalb wollte ich etwas mehr über seine Geschichte erfahren«, klärte Jack sie auf.
Helena Manfield dachte eine Weile nach, während sie den Diamantring an ihrem linken Finger musterte. Dann sagte sie übertrieben höflich: »Bitte verzeihen Sie mir, Mr. Reed, wenn ich neugierig erscheine. Doch ich habe den Eindruck, dass Sie sich mit einem Eifer durch die Aufzeichnungen gewühlt haben, der geschäftliches Interesse weit übersteigt.«
Jack lächelte schief. »Ist das so offensichtlich?«
»Na ja … Sie haben fast den ganzen Nachmittag hier verbracht, ohne etwas zu essen. Sie sehen etwas ungepflegt aus für jemanden, der ein Luxushotel kaufen will, muss ich sagen. Und außer sich. Bitte entschuldigen Sie meine offenen Worte.«
»Miss Manfield …«, begann Jack. »Wissen Sie zufällig, wer die Eigentümer von The Oaks sind?«
»Aber sicher. Ich kenne die Eigentümerin seit Jahren, schon seit sie hierhergekommen ist. Olive Estergomy. Sie war die Mittlere der drei Estergomy-Schwestern.«
»Und das sind sicherlich die Töchter von Dr. Estergomy, dem früheren Besitzer von The Oaks?«
»Das stimmt. Wunderschöne Mädchen, alle drei. Alice, Olive und Lucy. Bildhübsch! Aber ihre Mutter war ja schließlich auch ausgesprochen gut aussehend.«
»Wissen Sie zufällig, warum Dr. Estergomy The Oaks so plötzlich geschlossen hat?«, erkundigte sich Jack.
Helena Manfield schüttelte den Kopf. »Das weiß niemand so genau. Es dauerte viele Monate, bis wir davon erfuhren. Es kam erst heraus, als einer der Ladenbesitzer im Ort sich verplapperte und jemandem erzählte, dass die Estergomys all ihre Lieferungen abbestellt hatten.«
Sie stand auf und ging zu dem Tisch zurück, an dem sie beschäftigt gewesen war. »Die Estergomys kehrten der Gegend zu dieser Zeit den Rücken. Die einzige von ihnen, die jemals zurückkehrte, war Olive. Sie hielt sich bedeckt, wenn ich mich bei ihr nach The Oaks erkundigte. Und über ihre Familie sprach sie auch nicht gern. Irgendwann sah ich ein, dass sie das Thema nervös machte, also ließ ich sie damit in Ruhe. Aber es war trotzdem traurig. Früher einmal waren die Estergomys sehr gute Freunde von uns gewesen. Mein Vater und Dr. Estergomy verstanden sich prächtig. Doch als sie weggingen, hielten sie es nicht einmal für nötig, sich von uns zu verabschieden.«
»Also haben Sie nie herausgefunden, was damals passiert ist?«
»Nein!«, sagte Helena Manfield. »Die Gerüchteküche brodelte natürlich. Aber ich würde darauf tippen, dass die Ortsansässigen es geschafft haben,
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