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Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde

Titel: Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Luetz Eckart von Hirschhausen
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Gewiss nicht mit den Fähigkeiten, die er gern hätte, sondern nur mit den Fähigkeiten, die er nun einmal hat.
     
    Die Unfähigkeit, die Perspektive zu wechseln, wird psychiatrisch als Wahn definiert. Der Wahnkranke kann die ganze Welt nur unter dem alles beherrschenden Gesichtspunkt sehen, dass zum Beispiel die Nachbarin ihn mit Laserstrahlen quält. Von diesem Gedanken ist er mit keinem vernünftigen Argument abzubringen, obwohl er ansonsten ganz rational reagiert. Ideologien haben auch oft etwas Wahnähnliches. Sie sehen die Welt nur unter einer bestimmten Perspektive. Die Psychiatrie ist immer ideologieanfällig. Auch psychiatrische oder psychologische Schulen sehen den Menschen gern unter nur einem Gesichtspunkt. Doch neuerdings ist man zur Einsicht gelangt, dass gerade die Möglichkeit zum Perspektivwechsel den guten Therapeuten auszeichnet. Sich in ganz verschiedene Lebensentwürfe hineindenken zu können, aber auch das gleiche Leben oder die gleiche Störung unter unterschiedlichen Gesichtspunkten zu sehen, kann dem Patienten einen aussichtsreichen Ausweg aus einer Sackgasse eröffnen.
b) Ansichtssachen - Der Mensch, sein Gehirn und wie das Leben so spielt
    Man kann jede psychische Störung, aber auch jede gesunde psychische Reaktion unter biologischer Perspektive sehen. Zweifellos gehen mit jedem Gedanken biologische Gehirnvorgänge
einher. Wenn wir uns freuen, drehen irgendwelche Neurotransmitter Kapriolen. Wenn wir traurig sind, werden andere chemische Substanzen in unserem Gehirn aktiviert. Neben der Welt unserer Gedanken spielt sich in unserem Gehirn eine zweite Welt aus Molekülen ab. Da stellt sich die alte Frage, ob zuerst die Henne oder zuerst das Ei war. Sind also das Ursprüngliche die unsichtbaren organischen Vorgänge im Gehirn - und die bemerkbaren psychischen Phänomene sind nur die notwendige Folge davon? Sind wir demnach Marionetten unseres Gehirns? Oder ist es umgekehrt, dass wir uns für unsere psychischen Reaktionen unseres Gehirns bedienen, dessen Aktivitäten bloß ein äußeres Zeichen dafür sind, dass wir denken? Die Frage ist streng wissenschaftlich nicht definitiv zu entscheiden.
     
    Doch für unseren Bedarf ist das auch nicht nötig. Denn unstreitig ist, dass man alle seelischen Vorgänge unter biologischer Perspektive sehen kann. Ob das die ursprüngliche, die einzige oder auch nur die entscheidende Perspektive ist, muss uns hier gar nicht interessieren. Ob sie im einzelnen Fall hilfreich ist, das ist die entscheidende Frage. Am nützlichsten ist die biologische Perspektive selbstverständlich bei allen materiellen Angriffen auf das Organ Gehirn. Wird das Gehirn verletzt, blutet es hinein, entzündet es sich oder wird es vergiftet, dann ist immer die biologisch-organische Perspektive entscheidend für die Diagnose und auch für die Therapie. Natürlich wird daneben auch die Lebensgeschichte des Patienten für die Bewältigung der Erkrankung eine Rolle spielen, die Reaktionen seiner Mitmenschen und spezielle Ereignisse der jüngsten Zeit. Doch die zentrale Perspektive bleibt die Art und Weise, wie das Organ Gehirn auf die organische Schädigung reagiert. Auch bei den bisher körperlich nicht so klar zu begründenden psychischen Krankheiten, bei Schizophrenie, Depression, Manie und vielen anderen, hat man genauere Vorstellungen von den körperlichen Aspekten dieser Erkrankungen erworben und daraus nützliche therapeutische Konsequenzen gezogen.

     
    Inzwischen steht die biologische Perspektive bei allen psychischen Störungen im Zentrum des Interesses. Und sogar bei gesunden Menschen versucht das umstrittene so genannte Neuro-Enhancement die psychischen Fähigkeiten durch biologische Manipulationen zu verbessern. »Biologisch« ist übrigens auch die Vererbung. Man kann alle psychischen Eigenarten unter der Perspektive der Erblichkeit betrachten. Die biologische Perspektive ist also zu Recht eine Sichtweise, unter der man ausnahmslos alle psychischen Phänomene betrachten kann. Ideologisch, also unwissenschaftlich, wird es erst dann, wenn man die biologische Perspektive für die einzig wahre hält. Sie ist nicht wahr. Sie ist bloß mehr oder weniger nützlich.
     
    Man kann ausnahmslos alle psychischen Phänomene aber genauso gut unter lebensgeschichtlicher Perspektive betrachten. Man kann Ereignisse aus jüngster Zeit für die Ursache der psychischen Störung halten. Das ist genauso wenig widerlegbar wie die biologische Hypothese. Übrigens ist das die häufigste Sichtweise der

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