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Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde

Titel: Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Luetz Eckart von Hirschhausen
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konnte, dann hatte sie »ihre« Depression. Sie litt erheblich unter diesen Phasen. So behandelten wir eine von außen gesehen im Vergleich zu anderen Menschen gar nicht depressiv wirkende Patientin antidepressiv, bis die Phase nachhaltig abgeklungen war, und gaben ihr auch einen vorbeugend wirkenden Stimmungsstabilisierer. Die Wahrnehmung ihrer Depression war also vor allem subjektiv.
     
    Jeder erinnert sich beim Wort »Depression« an Phasen seines Lebens, in denen es ihm nicht so gut ging. Meist waren es irgendwelche traurigen Ereignisse, bei denen die Stimmung absackte. Doch das alles hat mit einer krankhaften Depression gar nichts zu tun. Auf traurige Lebensereignisse mit Traurigkeit zu reagieren, ist nicht krank, sondern normal. Und wenn Normale, angeregt durch geschäftstüchtige Psychoexperten, diese Befindlichkeitsstörungen zu Krankheiten aufblähen, wenn sie sich durch übertriebene Selbstbeobachtung in eine psychische Störung hineingrübeln, dann schaden sie sich selbst. So ist das Wort »Depression« prekär und man hat versucht, die schwere, von innen her kommende Depression »Melancholie« zu nennen,
um sie von den allgegenwärtigen »Depressionen« zu unterscheiden. Doch das konnte sich nicht durchsetzen. Eines jedenfalls ist klar: Die hier gemeinte schwere Depression ist nicht irgendeine Verstimmung, die man einfach durch belastende Lebensereignisse erklären kann, selbst wenn unspezifischer Stress auch hier in einzelnen Fällen als Auslöser - aber nicht als Grund - auszumachen ist. Die schwere Depression ist nicht bloß eine Überanstrengung oder ein »Burn-out«. Gerade weil im Übrigen auch hier wieder die armen Angehörigen so oft ungerecht beschuldigt werden, muss klar gesagt werden, dass an dieser schweren, von innen kommenden Depression niemand »schuld« ist. Es gibt einen bemerkenswerten Erbfaktor.
     
    Am besten beschreibt man diese Depression also als Stoffwechselstörung im Gehirn, die man vor allem mit Stoffwechselprodukten, nämlich Medikamenten, behandelt. Die Krankheit hat jedenfalls eine Eigendynamik, die sich in schweren Stadien dem beruhigenden Gespräch und dann auch der professionellen Psychotherapie entzieht. In ihren ganz schweren Formen geht sie sogar mit depressivem Wahn einher: Verarmungswahn, Schuldwahn und der Wahn, nie mehr gesund werden zu können. Es können sogar depressive akustische Halluzinationen vorkommen. Gegen so etwas helfen bekanntlich keine Gespräche. Das Schlechte an dieser Störung ist das schwere Leid, das die Patienten empfinden. Das Gute ist, dass sie aufhört. Vollständig aufhört. Freilich leiden die Depressiven oft nicht bloß an ihrer Depression, sondern auch an den »Normalen«, die mit ihren »guten Ratschlägen« die Depression so richtig unerträglich machen können. Da wird der Patient immer wieder zu Aktivitäten gedrängt, zu denen er aber gar nicht in der Lage ist, so dass sein Selbstbewusstsein noch mehr Schaden erleidet. Die Hausfrau kommt wegen ihres Morgentiefs morgens nicht aus dem Bett. Der Ehemann drängt sie fast ärgerlich, da es ja kein Wunder sei, dass ihr alles über den Kopf wachse. Doch sie kann nun einmal nicht. Und so bedeutet die Krankenhauseinweisung an sich oft schon eine erhebliche Entlastung, weil jetzt dieses alltägliche Drängen mit der unvermeidlichen Folge des Gefühls des eigenen Ungenügens endlich wegfällt. Auch
die Ratschläge »Reiß dich doch einfach mal zusammen!« oder treuherziges Zureden, dass die Lage doch eigentlich wunderbar sei, lösen bei einem schwer depressiven Patienten oft bloß wieder einen depressiven Gedanken aus, dass man ja wirklich nichts tue und undankbarerweise sich noch nicht mal über all das Schöne freuen könne. Urlaubsfahrten können für solche Patienten zur Qual werden, weil sie da fröhliche Menschen in Urlaubsstimmung bei bestem Wetter erleben, sie selbst aber fühlen sich von innen heraus nach wie vor wie ein Stein. Dieser Kontrast macht alles dann noch schlimmer, als es ohnehin schon ist.
     
    Es gibt aber eben auch das Gute am Schlechten. Die schwere Depression ist gut behandelbar und irgendwann ist die Phase beendet. Den genauen Zeitpunkt kann niemand voraussagen, aber dass sie vorbeigeht, ist sicher. Hans Bürger-Prinz, ein bekannter Psychiater der Nachkriegszeit, beschreibt in seinen Lebenserinnerungen aus den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts den spektakulären Fall einer reichen Leipziger Industriellengattin, die plötzlich aus heiterem Himmel eine schwere

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