Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
Vorstellung zugrunde, Schizophrenie würde sozusagen automatisch auf alle oder doch die meisten Kinder übertragen. Das ist aber falsch. Das Risiko in der Gesamtbevölkerung, an Schizophrenie zu erkranken, liegt, wie schon erwähnt, bei etwa einem Prozent. Das Risiko, dass das Kind einer schizophrenen Mutter schizophren wird, liegt bei etwa 12 Prozent, also mal gerade zwölfmal höher. Das bedeutet, dass bei 8 Kindern der Mutter durchschnittlich eines schizophren würde. Andererseits ist dieser Erbfaktor wichtig, um deutlich zu machen, dass Schizophrenie nicht durch falsches Elternverhalten entsteht. Mag sein, dass problematisches Verhalten mal einen Schub auslöst. Jeder »unspezifische Stress« kann das, wie Verliebtsein oder Enttäuschung, überschäumendes Glück oder tiefe Verzweiflung, aber auch bloß eine Lungenentzündung. Doch auch ohne diesen Stress wäre der Schub wahrscheinlich
gekommen, nur vielleicht etwas später. Es ist ohnehin ein großer Unsinn, der noch durch viele Filme schwirrt, dass man einen Menschen »verrückt machen« kann. Man kann einen Menschen durch schwere Traumata gewiss psychisch schwer schädigen, die posttraumatische Belastungsstörung, die ich noch beschreiben werde, ist die dramatischste Folge davon, aber schizophren machen kann man niemanden.
Daher ist es so wichtig, bei Erstdiagnose einer Schizophrenie oder einer anderen schweren psychischen Erkrankung ausführlich mit den Eltern zu sprechen. Denn nach meiner Erfahrung stecken fast alle Eltern in dieser Situation voller Schuldgefühle. Sie fürchten, bei der Erziehung irgendetwas dramatisch falsch gemacht zu haben. Und vor diesem Hintergrund werde ich dann apodiktisch. Mit aller Autorität, die mir als Chefarzt zu Gebote steht, erkläre ich den Eltern, dass sie nichts, aber auch gar nichts zur Entstehung der Erkrankung beigetragen haben. Es ist wichtig, das zu wissen, zumal die Eltern nach dem Patienten sozusagen das zweite Opfer der Erkrankung sind, ja oft mehr leiden als die Patienten selbst. Denn unsere moderne individualistische Sicht des Menschen erweist sich vor allem bei psychisch Kranken als unzureichend. Jeder Mensch hat in Freude und Leid Bedeutung für andere. Diese anderen leiden mit, aber sie sind auch eine heilsame Hilfe. Daher sind Selbsthilfegruppen hilfreich, in denen sich Angehörige gegenseitig bestärken können und sich nicht mehr so mutterseelenallein fühlen in ihrer Not. Schlimm sind aber nicht nur die stillschweigenden Befürchtungen der Eltern selbst, alles falsch gemacht zu haben. Es gibt auch da wieder die unvermeidliche besserwisserische Verwandtschaft, die alles bloß vom Hörensagen weiß. Die munkelt unüberhörbar, dass bei dieser Mutter so eine Erkrankung ja kein Wunder sei, dass man es immer schon gewusst habe, und jetzt habe man den Schlamassel etc. Auch gegen solche Schläge in ohnehin offene Wunden muss man die Eltern der Patienten in Schutz nehmen. Übrigens hat fast jeder Mensch irgendwelche Angehörigen mit schwereren psychischen Erkrankungen. Man bekommt das nur deswegen so schlecht heraus, weil die Normalen das gern totschweigen.
Fragen Sie mal nach der »komischen« Tante und dem »merkwürdigen« Onkel. Jede Familie hat solche farbigen Gestalten, die von der langweiligen schwarz-weißen Restverwandtschaft peinlich verschwiegen werden.
Die Behandlung der Schizophrenie erfolgt vor allem durch Medikamente, die so genannten Neuroleptika. Zwar sind auch unterstützende psychotherapeutische Gespräche und verschiedene andere therapeutische Methoden wie Ergotherapie, Sporttherapie etc. nützlich. Doch man muss leider zugeben, das wesentliche Heilmittel sind hier nicht wir glänzenden Therapeuten, sondern banalerweise die Psychopharmaka. Zu Anfang der Medikamentenära war das noch umstritten. Es gab Psychotherapeuten, die ihren Ehrgeiz darein setzten, Schizophrenie ganz ohne Medikamente behandeln zu können. Solche Therapeuten haben inzwischen aber längst eingesehen, dass das ein Irrtum war. Nicht wenigstens zu versuchen, einem Schizophrenen die Hilfe der modernen Neuroleptika angedeihen zu lassen und ihn dadurch vielleicht aus seinem Leiden zu befreien, wäre ein ärztlicher Kunstfehler. Neuroleptika sind Heilmittel, sie können das Leben wieder erträglich gestalten oder sogar völlige psychische Gesundheit bewirken.
Wer erlebt hat, wie Menschen nach einer monatelangen Leidensgeschichte, die sie vom Naturheiler über den Geistheiler bis zu anderem esoterischen Unsinn
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