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Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde

Titel: Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Luetz Eckart von Hirschhausen
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Depression bekam. Sie ging zum Psychiater, aber damals gab es noch keine wirklich wirksame medikamentöse Behandlung. So suchte sie mit den Jahren so gut wie alle bekannten Psychiater Europas auf. Niemand konnte ihr helfen. Doch dann plötzlich, nach 17 Jahren, als schon niemand mehr auf Besserung hoffte, wachte sie morgens auf und - war gesund. Die depressive Phase war vorbei. Restlos vorbei. Die Patientin war überglücklich. Sie lud all ihre behandelnden Ärzte zu einem großen Fest ein: Und so feierte die Elite der europäischen Psychiatrie bei einem rauschenden Abend ihren eigenen Misserfolg und das Glück ihrer Patientin, endlich ihrer Depression entronnen zu sein.
     
    Doch zurück zu unserem Manager. Auch er hatte keine Hoffnung, dass der Zustand sich noch einmal bessern würde. Ab und zu dachte er an Selbsttötung, doch er konnte uns glaubhaft versprechen, sich während des stationären Aufenthalts nichts anzutun. Immer wieder musste ich ihm versichern, dass er gesund werden würde. Wir behandelten medikamentös.
Alle begleitenden Gespräche drehten sich unablässig um seine Hoffnungslosigkeit. Zu irgendwelchen nützlichen Perspektivwechseln war er nicht in der Lage. Das erste Antidepressivum hatte nicht angeschlagen. Also probierten wir ein anderes aus. Und siehe da, die Stimmung hellte sich auf. Der Antrieb kam wieder. Die Hoffnungslosigkeit schwand, und der Patient konnte erstmals über anderes als seine Stimmung reden, interessiert und mit emotionaler Beteiligung. Die Ehefrau merkte die Besserung als erste, dann die Pflegekräfte und wir Ärzte. Die Patienten sind leider gewöhnlich die letzten, die die Besserung mitbekommen. Schließlich bemerkte auch der Patient die zunehmende Gesundung. Er war überglücklich, wurde entlassen, zeigte am Arbeitsplatz anfangs eine gewisse Überaktivität und im Privatleben eine etwas übertriebene Heiterkeit. Man könnte das nach der langen düsteren Zeit eigentlich gut verstehen. Aber Psychiater nennen so etwas eine »hypomanische Nachschwankung«. Die ist ganz vorübergehend und ein Zeichen für das definitive Ende der Depression. Es ist interessant, mit den Patienten nach Abklingen der Depression noch einmal gründlich zu sprechen. Sie erinnern sich an alles. Auch an die hoffnungsvollen Bemerkungen des Arztes und den eigenen tiefen Zweifel daran. »Aber obwohl ich es nicht glauben konnte, es war wichtig, Herr Doktor, dass Sie das immer wieder gesagt haben!« Es sind vor allem die modernen Antidepressiva, die eine früher nicht selten jahrelange Qual für den Patienten beenden können. Durchschnittlich etwa ein halbes Jahr dauern solche depressive Phasen unbehandelt. Eine zeitige richtige Therapie ist daher von unschätzbarer Bedeutung, zumal Antidepressiva zumeist erst nach zwei bis drei Wochen wirken. Jeder Tag ohne Depression ist ein gewonnener Tag für ein wieder farbiges Leben.
     
    Gewiss spielt bei der Besserung der schweren Depression auch begleitende Psychotherapie, insbesondere kognitive Verhaltenstherapie, eine wichtige Rolle und ebenso andere therapeutische Ansätze wie Ergotherapie, Kunsttherapie, Musiktherapie, Sporttherapie. Speziell bei der Depression wird auch die Schlafentzugstherapie eingesetzt. Bei mehr saisonal auftretenden
Depressionen kann die Lichttherapie wirksam sein, bei der künstliches Licht den vor allem in der dunklen Jahreszeit depressiven Patienten von seinem Stimmungstief befreien hilft. Doch entscheidend bleibt in jedem Fall die antidepressive Behandlung mit Psychopharmaka. Wenn ein Therapieversuch mit mehreren solchen Medikamenten ohne Erfolg bleibt, kann bei der schweren Depression eine Elektrokrampftherapie erwogen werden.
     
    Man hat die Depression als »Volkskrankheit« bezeichnet, doch das mag eine Übertreibung sein, denn - wie gesagt - nicht jede ganz natürliche Trauerreaktion ist gleich eine Depression. Etwa drei bis vier Prozent der Menschen erleiden in ihrem Leben eine schwere melancholische Depression. Jedenfalls haben viele berühmte und hochbegabte außergewöhnliche Menschen in ihrem Leben depressive Phasen gehabt, Ernest Hemingway, der Maler Hugo van der Goes und manch anderer besonders sensibler Künstler. Viele verschweigen ihre Depression. Doch ab und zu kommt jemand aus der Deckung, so der inzwischen verstorbene Ehemann der niederländischen Königin, ein bekannter Profifußballer und andere. Es gibt aber auch das lesenswerte Buch »Seelenfinsternis« des Psychiaters Piet Kuiper, der selbst an einer Depression

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