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Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde

Titel: Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Luetz Eckart von Hirschhausen
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erkrankte und plastisch schildert, wie er diese Erkrankung erlebt hat.

2. Vernichtende Gedanken - Wenn alles aus ist
    Nicht immer freilich hat die Behandlung Erfolg. Manche Menschen sterben an ihrer Depression durch einen Suizid, eine Selbsttötung. Das passiert nicht selten in der Phase der Besserung, wenn der Antrieb wiederkommt, aber die Stimmung immer noch darniederliegt. Der Suizid trifft die Angehörigen tief. Erschüttert sind aber auch die Ärzte und die anderen Therapeuten, die traurig vor der Einsicht in den eigenen Misserfolg stehen. Doch so einfach ist das nicht. Natürlich kann der Suizid eines Patienten Folge eines therapeutischen Kunstfehlers sein.
Dann ist er ein Misserfolg des Therapeuten. Im Suizid zeigt sich aber auch die letzte Unberechenbarkeit jedes Menschen, die Ausdruck der Freiheit ist, die seine Würde begründet. Sicher muss alles Vertretbare getan werden, um bei einem depressiven Menschen einen Suizid zu verhindern. Denn es ist in der Regel nicht seine Freiheit, sondern seine Krankheit, die ihn sterben lassen will. Doch wenn der Suizid dann eingetreten ist, muss man sich klarmachen, dass wir niemals von außen eindeutig sagen können, was nun die trotz Krankheit noch vorhandene Freiheit des Patienten bewirkt hat und was die Krankheit. Beides aber ist von Therapeuten niemals vollständig in den Griff zu bekommen, andernfalls würde die Psychiatrie totalitär. Man kann einen Suizid sicher verhindern, wenn man dem Patienten eine Eisenkugel ans Bein schmiedet und Tag und Nacht einen Wärter danebensetzt. Doch ein solcher totaler Kontrollanspruch wäre unmenschlich und ein ohnehin depressiver Patient würde so gewiss nicht aus seiner Depression herauskommen, sondern noch tiefer hineingestoßen. Humane Psychiatrie muss immer auch auf die Freiheit und Eigenverantwortung des Patienten setzen. Das schließt das Eingehen eines gewissen Risikos ein.
     
    Suizide können bei allen psychischen Krankheiten vorkommen. Es gibt allerdings bestimmte Standards, die generell einzuhalten sind, wenn man mit suizidalen, das heißt akut selbsttötungsgefährdeten Patienten umgeht. Wichtig ist, dass man Andeutungen des Patienten in diese Richtung immer ernst nimmt. Unerfahrene haben oft die Angst, sie würden Patienten durch konkretes Nachfragen erst auf »dumme Gedanken« bringen, und vermeiden daher das Thema. Aber das ist grundfalsch. Wenn ein Mensch sich mit Selbsttötungsgedanken trägt, dann ist er damit in der Regel schrecklich allein. Mit niemandem kann er darüber reden, mit Fremden ohnehin nicht, Freunde will er nicht beunruhigen und die Angehörigen will er mit einem solchen Thema nicht schockieren. So brütet er mutterseelenallein über dieser entsetzlichen Frage. Wenn er in einer solchen Lage aber von unsereins konkret gefragt wird: »Haben Sie auch mal lebensmüde Gedanken gehabt?«, dann
bricht es manchmal geradezu aus dem Patienten heraus, weil er endlich, endlich dieses zermürbende Thema mit einem anderen Menschen besprechen kann. Und wenn man dann fragt, wann diese Gedanken zuletzt gekommen seien, dann erfährt man nicht selten, dass das gerade mal vor drei Stunden war. Fragt man weiter nach, ob der Patient schon konkrete Vorstellungen entwickelt hat, wie er sich umbringen könnte, kann man erfahren, dass alles schon ganz genau geplant ist. In einem solchen Fall ist Gefahr im Verzug. Als Laie sollte man dann jedenfalls einen Experten, am besten einen Psychiater, zuziehen, zum Beispiel mit dem Patienten in die zuständige Psychiatrie fahren. Man sollte einen Menschen nach solchen konkreten Äußerungen nicht mehr alleine lassen. Es ist dem Patienten zumeist gut verständlich zu machen, dass man mit einem solchen Thema als Nichtfachmann überfordert ist. Vor allem gilt das für Angehörige oder gar Ehepartner, die emotional stark involviert sind. Wenn der Psychiater dann zu dem Schluss kommt, dass eine konkrete Selbsttötungsgefahr nicht vorliegt, hat man seine Pflicht getan. Man muss wissen, dass die weitaus meisten Suizide Bezugspersonen gegenüber angekündigt wurden. Gewiss, es gibt bei Ehekrisen, bei Kündigungen des Arbeitsplatzes oder ähnlichen Ereignissen auch die bloße Drohung mit Suizid, um Druck zu machen. Doch auch dann ist es sinnvoll, das ernst zu nehmen und fachliche Hilfe zu holen. Auf diese Weise wird jemand mit solchen bloßen Drohungen später sicher vorsichtiger sein.
     
    Welche Anzeichen hat der Fachmann für eine ernsthafte Suizidgefährdung? Wenn der Patient nur noch

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