Irrfahrt durch die Düsterzone
einen Zauber angewandt. Für mich gibt es keinen Felsen mehr.«
»Dieses Rauschen!«
Luxon duckte sich unter der gewaltigen Masse, die für ihn und sein Empfinden immer mehr nach vorn kippte und alles zu erschlagen drohte. Das Zischen wurde lauter, und noch während sich Luxon halb den Hals verrenkte, schoß eine große, gischtende Welle über die Kante des Felsens und löste sich in Myriaden Tropfen auf.
»Ein… Wasserfall!« keuchte Luxon auf. Aber da war das Gespann bereits in der bemoosten Felswand verschwunden. Luxon zuckte zusammen, als er die Schwärze wieder aus allen Richtungen über ihn zusammenschlagen sah.
»Es ist nur ein Trugbild!« sagte Necrons Stimme von links. Necron war ebenfalls im Dunkel verschwunden. »Keine Angst.«
»Du hast gut lachen«, stöhnte Luxon. »Ich vermag nicht zwischen Trugbild und Wirklichkeit zu unterscheiden.«
»Vielleicht sollte ich dich den Zauber der klaren Sicht lehren«, schlug Necron vor. »Es dauert, fürchte ich, zu lange.«
Luxon hoffte, es auch ohne den Zauber zu schaffen. Er versuchte, mit seinen Augen das Dunkel um ihn herum zu durchdringen. Aber alles, was er damit bezweckte, war ein funkelnder Reigen von schwirrenden Lichtpünktchen. Sie schwirrten in wilden Bahnen, die Leuchtinsekten durch die Nächte zu Sarphand, rund um den Schrein und die Rösser.
Ebenso plötzlich, wie das Gespann im Dunkel verschwunden war, schoß es aus dem vermeintlichen Felsen wieder heraus.
»Nun? Ist der Schrecken vorbei?« fragte Necron halblaut.
»Vielleicht für dich, Händler«, murmelte Luxon. »Ich bin nicht gerade feige. Aber gegen solche Gegner habe ich noch nicht gekämpft.«
Er wischte den Schweiß von seiner Stirn und aus dem Nacken. Vor den schaukelnden Köpfen und Hälsen der Pferde tauchte weit am Horizont etwas auf, das wie eine Bergkette aus Eis, wie eine Barriere aus Kristallen oder eine unregelmäßige Mauer aus Glasblöcken aussah. Luxon hob den Arm und deutete darauf.
»Ist diese Barriere hinter dem Horizont auch ein Trugbild?«
»Nein.«
»Sondern?«
»Ein echtes Schwemmgut aus der Schattenzone. Nach allem, was ich vermag, ist dieses Kristallgebilde wirklich. Und es liegt auf meinem Weg in die Zone der Abstrusen. Bei der letzten Fahrt, aus der anderen Richtung, war es noch nicht vorhanden.«
»Und dieser Hochwald?«
Zwischen den Stämmen, die so hoch gewachsen waren, daß man ihre Kronen nicht mehr sah, leuchtete von fern dieser bizarre Gebirgszug aus Kristall. Dann fuhr der Wagen in eine Senke ein, aus der nach wenigen Augenblicken ein breiter Hohlweg wurde. Die Hufe dröhnten dumpf auf weichem Waldboden.
»Der Wald ist wirklich. Aber sicher müssen wir in diesem Wald viele Trugbilder finden, die dich abermals mit Schrecken peinigen werden. Steh auf, greife in die Kiste. Nimm die Malbarte an dich.«
»Was soll ich tun?« wunderte sich Luxon.
»Eine Malbarte ist eine magische Axt. Genauer handelt es sich um mein Doppelbeil. Es hilft dir gegen die Furcht, wenn du den Griff packst. Und, wie auch anders, hilft es gegen echte Angreifer.«
»Eine Malbarte…«, murmelte Luxon und gehorchte. Er setzte sich wieder und behielt die langstielige Axt mit den jeweils halbmondförmigen Schneiden auf den Knien. In den Hängen des Hohlwegs ragten wie gichtige Finger die knolligen schwarzen Wurzeln der Bäume hervor. Der breite Pfad, auf dem die Pferde in einem entspannten Trab gingen und zogen, führte in weit auseinandergezogenen Windungen abwärts. Luxon war überrascht darüber, daß durch das Land der Düsterlinge tatsächlich erkennbare Straßen oder Wege führten. Er richtete eine entsprechende Frage an Necron.
»Nicht nur die Länder der Normalen Welt haben ihre Gesetze. Gesetzmäßigkeiten gibt es auch in der Düsterzone und, wie ich gehört habe, selbst in der Schattenzone, in denen sich nur wenige Menschen bewegen können. Warum sollte es hier keine Wege geben?«
»Weil ein Weg ebenso Trugbild sein kann wie der Felsen und vieles andere.«
»Ich muß erkennen, was Trugbild ist, was Illusion und was Wirklichkeit. Siehst du diesen Wegweiser dort?«
Necron zeigte mit dem Peitschenstiel darauf.
Ein annähernd dreieckiger Felsblock wuchs aus dem Hohlweg hervor. Er lehnte schräg an dessen Wand und war halb von grauem, schwarzem und braunem Gestrüpp umwuchert. Auf dem Vorderteil des Felsens war in einer Art Relief eine dämonische Fratze abgebildet. Nur dadurch, daß helles Moos in den Vertiefungen wucherte, war der Kopf erkennbar. Aus dem Auge der
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