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Irrfahrt durch die Düsterzone

Irrfahrt durch die Düsterzone

Titel: Irrfahrt durch die Düsterzone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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schauerlichen Schimäre deutete ein Pfeil weiter in den Hohlweg hinein. Obwohl der Kopf weder besonders groß noch sonderlich kunstvoll gearbeitet war, strahlte er Bösartigkeit und Drohung aus.
    »Schaurig!« brummte Luxon.
    »Es ist ein wirklicher Wegweiser. Selbst die Bizarren und Abstrusen erkennen ihn. In einem solchen Wald ist es leicht, sich zu verirren.«
    Als habe er es magisch besprochen, öffnete sich der breite Spalt. Der Weg machte eine Kurve, und wieder befanden sie sich auf annähernd ebenem Gelände. Nach kurzer Zeit gabelte sich der Pfad. Nach links deutete der knöcherne Arm eines Skeletts, das weder einem Menschen noch einem Tier entstammte. Ein Vogel, der auf dem Kopf der bleichen Knochen saß, stieß einen hallenden Schrei aus. Er klang, als ob jemand in Todesangst schrie. Nach rechts hingegen zeigte ein riesiges Auge, das aussah, als bestünde es aus verschiedenfarbigem, leuchtenden Glas.
    »Der Pfad wird sich siebenmal Zwieseln«, meinte Necron. »Wir folgen dem Auge.«
    »Du kennst alle Wegweiser?«
    »Eigentlich ja. Jedes Symbol bedeutet etwas anderes. Aber vielleicht hat man die Zeichen verkehrt?«
    »Und wenn du die andere Richtung des Zwiesels fährst? Was geschieht dann?«
    »Dann habe ich mich verirrt.«
    »Was kannst du dagegen tun?« Luxons Besorgnis wuchs mehr und mehr. Den Gedanken an Flucht hatte er inzwischen aufgegeben und beinahe völlig vergessen. Er hätte nicht einmal die Richtung gewußt, in der er irgendwann wieder auf jene Wesen stoßen würde, die hier verächtlich als »Normale« bezeichnet wurden.
    »Das, was ich unausgesetzt tue«, antwortete Necron ernst. »Ich versuche, mit meiner Erfahrung, dem Zauber der klaren Sicht und anderen Hilfsmitteln Schein von Sein zu trennen.«
    Fast ehrfürchtig klang Luxons Stimme, als er nach einer Weile sagte:
    »Daß du heute noch lebst, beweist mir, daß du es bisher mit deinen Hilfsmitteln immer geschafft hast. Mir scheint, daß nicht jeder zum Alleshändler berufen ist.«
    »Ich kenne keinen anderen.«
    Nach einer kurzen Wegstrecke zweigte sich der Pfad abermals. Diesmal zeigte ein Totenkopf, aus dessen rechtem Auge eine Speerspitze ragte, nach links, und die andere Richtung wurde von einem verwitterten Holzschild versinnbildlicht, auf das mit leuchtender Farbe ein obszönes Bild gemalt worden war. Necron lenkte seine Pferde nach rechts.
    Noch immer rollte der Wagen zwischen den Stämmen dahin. Ab und zu schimmerte dahinter wieder der kristallene Koloß auf. Die Wegzeichen lösten einander auf schauerliche Weise ab. Ein prall ausgestopfter Tierkörper, dessen Vorderläufe und Hörner die Richtung wiesen, ein Haufen Steine, ein riesiger Vogel, der an zwei Baumstämme genagelt war, ein riesiger Fisch mit einem schauerlichen Gebiß, verschiedene kleine und große Skelette, die mit Knochenfingern und Krallen die Richtung wiesen, verwitterte Steinfiguren mit verkrümmten Gliedmaßen und abenteuerlichen Köpfen, die nichts Menschliches und nichts Tierisches hatten.
    Rechts und links des Weges ertönten scharrende und hechelnde Geräusche. Die Pferde keilten erschreckt aus und wieherten angstvoll. Luxon riß das Beil hoch und fragte seinen Nachbarn:
    »Ich habe das Gefühl, wir fahren im Kreis, Necron. Was bedeuten diese Laute?«
    »Schattenwölfe. Wenn wir nicht den Paß erreichen, greifen sie an.«
    »Sie können den Paß nicht überschreiten?«
    »Es ist eine magische Grenze.«
    Die Schattenwölfe rannten neben dem Gefährt einher. Sie waren hinter den Wurzeln und den unteren Teilen der Stämme verborgen. Schnelle, schlanke, schattenhafte Geschöpfe, von denen Luxon nur feuerrot leuchtende Augen und grellweiße Krallen sehen konnte. Ab und zu erkannte er einen langen, buschigen Schweif und spitze Ohren. Die Raubtiere blieben Schatten im Dunkel, aber Luxon spürte fast körperlich, daß sie näherkamen. Jetzt hielt er sich tatsächlich am Schaft der Malbarte fest. Vor dem Wagen tauchte wieder eine Weggabelung auf. Necron stieß einen schauerlichen Fluch aus.
    »Nach links, nicht nach rechts – diesmal!« rief Luxon. Er hatte sofort die beiden Wegzeichen erkannt. Es waren die beiden auffallenden kolossalen Köpfe gewesen, die in die entsprechenden Richtungen blickten. Necron trieb die Pferde an, die den Schrein in die andere Richtung zogen. Über einen kleinen Graben machte das Fuhrwerk einen langen Satz, die Felgen dröhnten auf den starken Querwurzeln. Die Schattenwölfe knurrten und heulten, als sie die Verfolgung aufnahmen. Luxon

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