Irrfahrt
gescheitelten Köpfe schweifen. «Mißerfolge werden uns dabei nicht entmutigen. Wenn einige Kommandanten in letzter Zeit ihren Angriffsschwung verloren haben, ist das verständlich, wenngleich bedauerlich.
Zahlreiche Boote mit neuen Abwehrwaffen kommen jetzt an die Front. Wir verfügen heute über eine größere Anzahl einsatzfähiger Boote als zu irgendeinem früheren Zeitpunkt. Mit Freude habe ich zur Kenntnis genommen, daß sich alle tauglichen Fähnriche dieser Crew freiwillig zu meinen U-Booten gemeldet haben. Der Tonnagekrieg steht kurz vor seinem Höhepunkt. Die Kämpfe in Nordafrika beanspruchen den Schiffsraum der Alliierten bis zum äußersten.
Wir müssen hart zupacken. Wer ein Schif f des Feindes versenkt hat, muß gleich an die nächste Aufgabe denken und weitere Erfolge suchen. Jede Rettung Schiffbrüchiger widerspricht den Gesetzen unserer Kriegführung. So etwas ist zeitweilig versucht worden, noch im vergangenen Jahr. Ich habe diesen Unfug abgestellt. Die U-Boote sind eine Angriffswaffe. Gegenwärtig sogar die einzige Waffe, um das perfide Albion und die plutokratisch verkommenen USA in die Knie zu zwingen. Haltet euch bereit!»
Dönitz machte eine Pause. Es fiel ihm schwer, so lange mit gepreßter Stimme zu sprechen. Er wählte eine normale Tonlage, erzählte fast onkelhaft:
«Vor wenigen Tagen besuchte ich eine Schiffswerft, eine der Waffenschmieden unserer Nation. Was ich dort an Begeisterung und Einsatzbereitschaf t erlebte, hat mich mit Befriedigung erfüllt und mir neuen Glauben an unsere Zukunf t eingeflößt.
An dieser Stelle möchte ich eine persönliche Erinnerung einflechten. In den Jahren vor der Machtergreifung war ich öfters genötigt, Schiffswerften zu besichtigen. Dabei trafen mich feindselige Blicke und offene Drohungen der Arbeiter, die von jüdisch-bolschewistischen Gewerkschaftsbonzen verhetzt waren. Heute ist das ganz anders. Unser Führer hat alle Klassenkampfparolen der Systemzeit durch eine wahre Volksgemeinschaf t überwunden. Die tiefgreifende Änderung in der Geisteshaltung unserer Arbeiterschaf t empfinde ich als Offizier besonders deutlich ... »
Diese locker eingefügte Passage gehörte zu den Tricks, die Dönitz dem redegewandten Reichspropagandaminister Dr. Goebbels abgelauscht hatte. Sie verfehlte auch diesmal nicht ihre Wirkung auf die Zuhörer. Desto wuchtiger erfolgte dann der Schlag.
«Wir schmieden eine scharfe Waffe, und wir setzen diese Waffe voll ein», rief der Großadmiral in hohem Diskant. «Nur der totale Einsatz der Boote verbürgt unseren Sieg. Der Kampf ist hart, er wird noch härter. Seit langem führen wir einen totalen U-Boot-Krieg, viel härter und totaler, als wir ihn uns vorgestellt haben. Unerschütterlich kämpfen wir bis zum Endsieg. Der Sieg wird unser sein, weil wir an den Führer und an Deutschlands Zukunf t glauben!»
Helmut Koppelmann war noch ganz benommen, als er wieder auf die Stube kam. Gerhard stellte nur sachlich fest, daß Dönitz mit hohem Hut wesentlich besser aussah als mit bloßem Kopf; seine abstehenden Ohren fielen dann nicht so auf.
Der Großadmiral besichtigte anschließend noch ein Segelschulschiff, das im Hafen lag. Eine richtige Besichtigung wurde es allerdings nicht, nur eine Vorführung für die Wochenschau. Goebbels wollte den neuen OB der Kriegsmarine populär machen.
«Wat hett he denn nu seggt», fragte abends der Küchenbulle. Ein schlagfertiger Rheinländer erwiderte im Sportpalast-Jargon: "Wollt ihr den totalen U-BootKrieg?»
Gelächter. Gerhard war ein wenig neidisch. Diese witzige Antwort hätte ihm auch einfallen können. Die UBoot-Fahrer hingegen taten beleidigt.
Der vorlaute Fähnrich bekam ein Strafkommando an den Ladogasee. Genau betrachtet war das ein glattes Todesurteil.
Gerbers überdurchschnittliche Kenntnisse in der Seekriegsgeschichte hatten keineswegs nur die Ausbilder beeindruckt. Bei der Abschlußfeier steuerte ein frischgebackener Fähnrich auf ihn zu, den er nur vom Sehen kannte. «Friedrich Freiherr von der Groeben», stellte er sich vor. «Sehr interessant, lieber Kamerad, was Sie da von meinem Vorfahr erzählt haben.»
Gerber brauchte ein Weilchen, bis er den Zusammenhang begriff. Natürlich! Sein Mitschüler war ein direkter Nachkomme des preußischen Majors, der Groß-Friedrichsburg begründet hatte. Über die Schrecksekunde mußten die beiden Fähnriche herzlich lachen. Adressen wurden ausgetauscht. «Sie müssen mich unbedingt besuchen», sagte Groeben. «Ich
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