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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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und portugiesische Schiffe brachten sie in die Neue Welt. Tausende starben, aber viele Tausende überlebten und mußten als Sklaven auf den Plantagen arbeiten. Ihre Nachkommen bevölkern heute Amerika zwischen Argentinien und Alabama. Großbritannien verdankt dem schwarzen Gold seinen Aufstieg zur Weltmacht.»
    Gerhard sah nun klar. Im Kurfürstentum Brandenburg hatte man etwas von diesen Geschäften gehört. Die Kassen des kleinen Staates waren leer. Der Dreißigjährige Krieg, die Händel mit Polen und Schweden hatten die Geldmittel erschöpft, und so kamen einige Höflinge auf die Idee, den verarmten Staat durch Beteiligung am Sklavenhandel finanziell zu sanieren.
    Der Vater nickte zustimmend. «Aber das Geschäf t gelang nicht ganz, die Konkurrenz war stärker. Für Brandenburg blieb nur ein winziges Bröselchen von dem großen Kuchen.»
    Das klang natürlich anders als die hochtrabenden Worte über den «Weitblick» des Großen Kurfürsten und seine «wertvollen Verträge mit afrikanischen Stammeshäuptlingen» oder die «Anständigkeit brandenburgischer Kolonialarbeit». Und was hatten die Lehrbücher über Seekriegsgeschichte daraus gemacht? Das Heldenlied von Groß-Friedrichsburg!
    Gerhard war seinem Vater dankbar. Der alte Herr wußte doch eine ganze Menge, bestimmt auch über die Ereignisse des Jahres 1917. Er habe ja selbst manchmal von ähnlichen Zuständen in seiner Artillerie-Einheit erzählt, von schlechter Verpflegung, Schiebungen und Betrügereien der Verwaltung.
    Das Gesicht des Vaters wurde frostig. Gerhard traute sich kaum noch weiterzusprechen. Als das Wort «Revolte» fiel, brauste Studienrat Gerber auf. «Meuterei war das, glatte Meuterei! Die ganze Bande hätte man an die Wand stellen sollen! Während das Heer in Frankreich verblutete, hatten die Matrosen weiter nichts zu tun, als an ihren Bauch zu denken!»
    Gerhard merkte, daß mit seinem Vater über dieses Thema nicht zu reden war. Ob er vielleicht doch zu Dr. Vetter ging? Lieber nicht. Die Abkommandierungen von der Marineschule waren ihm noch frisch in Erinnerung. Damit versuchte er sein Gewissen zu beruhigen.
     
    Die erste Urlaubswoche war fast vorbei. Schon drei Tage hatten sich die Freunde nicht gesehen. Natürlich ging die Familie vor, und Helmut Koppelmann besaß eine weitverzweigte Verwandtschaft. Offenbar karnen sie alle angelaufen, um sein EK I zu bestaunen. Gerhard fand, daß es höchste Zeit war, diesem übertriebenen Familiensinn eine Grenze zu setzen. Schließlich hatten sie noch eine traurige pflicht zu erfüllen.
    Morgens um neun erschien er bei Familie Koppelmann. Der Apotheker zog zu Ehren des Besuchers den weißen Kittel aus, ein Beweis für Gerhard, wie sehr er in den Augen des alten Koppelmann aufgerückt war.
    Frau Koppelmann servierte einen scharfen Likör, Spezialrezept des Hauses. Helmut kam erst nach mehrmaligem Rufen zum Vorschein. Unausgeschlafen, mit strubbligem Haar und verquollenen Augen.
    Gerhard unterdrückte eine hämische Bemerkung. Ihn plagten jetzt andere Sorgen. «Wir müssen unbedingt bei Apelts einen Kondolenzbesuch machen, am kommenden Sonntag.»
    Schwer standen die Worte im Raum.
    «Jaja», stotterte Helmut und strich sein Haar glatt. «Habe das noch nie gemacht. Was sagt man denn so ungefähr?»
    Frau Koppelmann wurden die Augen feucht, sie suchte nach einern Taschentuch.
    Der Apotheker, der sich in Kondolenzriten auskannte, sprang den unerfahrenen jungen Männern hilfreich bei. «Am einfachsten ist die konventionelle Form.» Aus dem Stegreif hielt er eine lange Rede: «Heldentod ... ist uns eine schmerzliche Pflicht ... Opfer für Volk und Vaterland ... guter Kamerad gewesen ... immer im Gedächtnis bleiben ... »
    Gerhard schüttelte den Kopf. Unsicher blickte er auf Helmut Koppelmann, doch der war mit seinem Frühstück beschäftigt.
    «Natürlich kann man das auch viel persönlicher machen», sagte der Apotheker einlenkend. «indem man an gemeinsame Erlebnisse anknüpft. Besonders an solche, bei denen Heinz eine gute Rolle gespielt hat ... »
    Angestrengt dachten die Freunde nach. Bester Turner der Klasse, HJ-Lehrgang. Aber sonst? Heinz Dampf in allen Gassen. Ohrfeigen bei Kuhle. Tadel bei Dr. Gall. Dann die erste Liebe in der Muna, Apelts Pech als Sohn eines Konteradmirals. Nein, das war für eine Trauerrede wenig geeignet. Demnach blieb nur die erste Lösung, die unpersönliche. Gerhard hatte sich einige Sätze gemerkt. «Es wird schwer für uns, soviel steht fest. Also am Sonntag elf Uhr bei

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