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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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machten die Fähnriche eine knappe Ehrenbezeigung und steuerten einen leeren Tisch an. Schließlich waren sie keine Rekruten mehr, sondern Frontsoldaten.
    «He, Sie beide da, können Sie nicht grüßen?» sagte eine schneidende Stimme. Ein dicker Oberstabszahlmeister des Heeres mit aufgedunsenem Gesicht fühlte sich nicht genügend respektiert. Stramm grüßend mußten sie noch einmal an ihm vorbeiziehen.
    Der Zwischenfall blieb im Lokal nicht unbemerkt. Heinz fehlt uns jetzt, dachte Gerhard wehmütig, der hätte diesem aufgeblasenen Frosch bestimmt eins verpaßt.
    Aber Helmut Koppelmann war auch nicht faul. Er winkte dem Kellner, drückte ihm ein Fünfmarkstück in die Hand und flüsterte ihm einige Worte ins Ohr. Der alte Ober schmunzelte und ging zur Leiterin der Damenkapelle. Sofort setzten die sechs Mädchen ihre Instrumente an und spielten die Melodie: «Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern ... »
    An vielen Tischen wurde das bekannte Lied fröhlich mitgesungen. Der Zahlmops verfärbte sich tomatenrot, stand auf und verließ das Lokal. Die Seefahrer hatten sich auf feine Art, gerächt. Unaufgefordert erklärte ihnen der alte Kellner, wer dieser Mann war: Er saß in der Verwaltung eines Gefangenenlagers und hatte sich auf dem Gelände einen großen Privatgarten anlegen lassen. «Seine» Russen mußten dort umgraben, düngen, säen und pflanzen, Unkraut jäten, Wasser tragen und die Ernte einbringen. Das kostete den Dicken keinen pfennig Arbeitslohn. Einen Teil der Produkte lieferte er kostenlos an das Lokal der Innenstadt. Dafür durfte er jede Woche einige Flaschen Wein aus den sorgsam gehüteten Beständen des Gaststättenbesitzers trinken.
    Gerhard drückte daraufhin dem Kellner weitere fünf Mark in die Hand. Soviel war ihm die Geschichte wert.
     
    Am nächsten Vormittag wollte Gerhard seinen alten Bekannten Dr. Vetter aufsuchen. Der Vater hielt ihn zurück. «Wir machen einen Spaziergang!» Er sprach streng, im Befehlston. Gerhard gehorchte.
    «Es ist nicht gut, mein Sohn, als Fähnrich der Kriegsmarine bei Doktor Vetter gesehen zu werden. Seit du fort bist, hat sich hier einiges verändert. Der totale Krieg» - diese Worte kamen ironisch-gedehnt - «erfordert die Mobilisierung aller Arbeitskräfte. Doktor Vetter darf keinen Nachhilfeunterricht mehr erteilen. Er ist jetzt dienstverpflichtet in der WUMAG, als gewöhnlicher Arbeiter. Sicher nicht ganz einfach für ihn ... »
    Gerhard war zutiefst erschrocken. Das Gelände der Waggon- und Maschinenfabrik kannte er zwar nur von außen, aber jeder in der Stadt wußte, daß dort Schwerarbeit verrichtet wurde.
    «Dabei geht er doch kaputt, Vater! Doktor Vetter ist ein kluger Mann. Vielleicht könnte er irgendwo in der Verwaltung... Er ist ... er war doch mal dein Kollege ...»
    Studienrat Gerber blickte starr geradeaus. «Was heutzutage mit einem Menschen wie Doktor Vetter geschieht, entscheide nicht ich, sondern andere. Kürzlich hat man einen strammen Pg. in seinem Haus einquartiert. Als Untermieter. Auf diese Weise erfahren die zuständigen Stellen, wer bei ihm ein und aus geht. Natürlich tut mir Doktor Vetter leid, mein Sohn. Aber wenn du schon auf seine Klugheit anspielst, dann hätte er besser daran getan, sich beizeiten zu arrangieren. Oder wenigstens still zu sein. Mir paßt vieles nicht, wie du weißt. Dennoch werde ich mich hüten, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen. Die Wand ist härter. Ich glaube, diese Erfahrung hast du auch schon gemacht. Wir können uns die Zeit, in der wir leben, nicht aussuchen. Wir können nur unsere Pflicht tun, jeder an seinem Platz. Das wichtigste ist, daß man vor sich selber, in seinem Innern, sauber bleibt.»
    Schweigend hörte Gerhard zu. Es war das erstemal, daß der Vater so ernsthaf t mit ihm sprach, von Mann zu Mann.
    «Sicher hast du recht», sagte er zögernd. «Ich möchte dir auch keine Unannehmlichkeiten bereiten. Eigentlich wollte ich Doktor Vetter nur etwas fragen. Es geht um Dinge aus der Seekriegsgeschichte.»
    Studienrat Gerber unterrichtete ebenfalls Geschichte. Schon lange hatte es ihn gekränkt, daß sich der Sohn bei einem anderen Rat holte. Er ermunterte ihn, mit seinen Fragen herauszurücken.
    Womit die Brandenburgisch-Afrikanische Compagnie gehandelt habe?
    «Mit Sklaven, mein Lieber. Der Sklavenhandel wurde nach der Entdeckung Amerikas für Jahrhunderte zu einem einträglichen Geschäft. Arabische Händler trieben die Neger gefesselt an die Küste. Britische, holländische, spanische

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