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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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schicke Ihnen die Einladung.»

 
    10. Kapitel
    Eine Freundschaft zerbricht
    Gemeinsam fuhren Helmut und Gerhard in ihre Heimat. Diesmal nicht mit Seesack, sondern jeder mit einem Koffer, den sie in Flensburg gekauf t hatten.
    Gerhard freute sich auf den Urlaub. Vierzehn Monate war er fort gewesen, hatte immer unter Zwang und Befehl gestanden. Jetzt würde er drei Wochen lang das tun, was er gerne wollte. Natürlich zusammen mit Koppelmännchen, seinem Freund.
    Hinter Berlin wurden sie von einem kurzsichtigen Eisenbahnbeamten wegen ihrer schmalen Schulterklappen mit «Herr Leutnant» angeredet. Das entsprach gen au der Stimmung, in der sich die jungen Männer nach einer so wichtigen Beförderung befanden.
    Der Zug fuhr durch die Lausitz. Industrieanlagen, kahle Felder und Wiesen, bewaldete Hügel. Wie ein gleißendes Band schlängelte sich der Fluß durch das enge Tal.
    Endlich zu Hause! Die hohe rußige Bahnhofshalle unterschied sich in nichts von den Bahnhöfen anderer Städte. Alle Militärpersonen mußten einen besonderen Ausgang benutzen, den ein «Kettenhund» bewachte. «Ausweis vorzeigen!»
    Kurz vor den beiden Fähnrichen wurde ein schlechtrasierter Obergefreiter des Heeres kontrolliert. Irgend etwas paßte dem Wachhabenden nicht. Es gab einen Wortwechsel. In Null Komma nichts hatten zwei Feldgendarmen den Obergefreiten geschnappt und durch die gaffende Menge abgeführt.
    Ein schöner Empfang! Vergebens hielten die beiden Ausschau nach Familienangehörigen. Die Telegramme aus Mürwik waren offenbar noch unterwegs. Na ja, schließlich war Krieg. Vor dem Bahnhof warteten keine Taxis wie in früheren Zeiten; nur Kutschwagen mit Pferden, einige mit umgebundenem Hafersack.
    «Also nehmen wir die Straßenbahn!» Quietschend schob sich das alte Vehikel durch die Kurven der Innenstadt. Seine Fensterscheiben waren mit dunkelblauer Farbe gestrichen. Nur ein schmaler Streifen in Augenhöhe war ausgespart und gab die Sicht auf die Straße frei. Gerhard mußte eine leichte Kniebeuge machen, um etwas zu erkennen.
    Das Bild der Stadt war unverändert: der Marktplatz mit seinen schönen Renaissancebauten, die alten Stadttore, Türme, Kirchen. Auch die Konditorei war noch da, in der sie sich als Pennäler mit Leutnant Tetzlaf f getroffen hatten. Das lag nun schon eine Ewigkeit zurück. Was mochte aus Tetzlaf f geworden sein?
    Helmut machte Gerhard auf eine häßliche Bretterwand aufmerksam. Sie war von oben bis unten mit Plakaten beklebt. «Achtung, Feind hört mit!» - «Der Kohlenklau geht um» - «Erst siegen, dann reisen». Mit schwarzer Schrif t stand auf blutrotem Grund: Musterung des Jahrganges 1926.
     
    Die Mutter strich Gerhard zärtlich über die Wange. «Groß bist du geworden», sagte sie. «Die Uniform steht dir gut.» Sie weinte ein bißchen. Dann eilte sie in die Küche, um das Essen vorzubereiten.
    Studienrat Gerber schenkte seinem Sohn eine neue Brieftasche, In dem Fach steckte ein Zwanzigmarkschein. Die Übergabe des Geschenks war verbunden mit einem Vortrag über die schwierige Beschaffung von Lederwaren.
    Gerhard bedankte sich mehrmals. Im stillen dachte er: Mein alter Herr ist noch knauseriger geworden. Wenn es wirklich in den Geschäften nichts mehr zu kaufen gibt, was macht er dann eigentlich mit seinem Geld?
    Bei Tisch stimmte die Mutter ihr Klagelied über die Lebensmittelzuteilungen an. Sie laufe sich die Hacken ab, um für den Haushalt das Notwendige heranzuschaffen. «Mit allem wird's schlechter.»
    «Am schlechtesten ist unsere Seife», sagte der Vater grimmig. «Sie schäumt überhaupt nicht und reinigt kaum. Bloß noch Tonerde, mein Sohn. Das reine Vaterland!»
    Die Eltern hatten das alles schon einmal erlebt Während die Mutter jammernd an den Kohlrübenwinter 1917/18 erinnerte, kommentierte Studienrat Gerber die Mißstände der Kriegszeit mit sarkastischem Humor. «Nächstes Jahr kommt es bestimmt noch schlimmer. Je schlimmer es kommt, desto eher wird es besser.»
    Gerhard fand die Nörgeleien der Eltern kleinlich. Immerhin standen keine Kohlrüben auf dem Tisch, sondern Rinderbraten und gemischtes Gemüse.
    Für den Abend war er mit seinem Freund verabredet. Sie wollten sich ein bißchen amüsieren. Da Tanzveranstaltungen noch immer untersagt waren, mußten sie sich in der «Fledermaus» eine Damenkapelle anhören. Helmut hatte auf Anraten seines Vaters eine Flasche Wein mitgebracht, die er an der Garderobe abgab. Gegen Zahlung von Korkengeld wurde sie vom Kellner serviert.
    Am Eingang

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