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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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sein Fahrrad schwingen und aus dem Nachbarort einen Tierarzt holen mußte.
    «Noch etwas?» fragte Groeben.
    «Jawohl, gnädiger Herr», antwortete der Verwalter stockend. «Heute nacht ist wieder einer von den Russen gestorben; schon der vierte seit einem Monat ...»
    «Rufen Sie beim Stalag an, daß wir mehr Leute brauchen! Und lassen Sie gleich noch einige Mann zusätzlich kommen!» Damit wandte Groeben sich ab und ging in Richtung Wagen.
    Gerhard war unangenehm berührt. Die Unterhaltung über das kranke Pferd hatte eine Viertelstunde gedauert. Die vier toten Kriegsgefangenen beanspruchten die Gedanken derer von der Groeben kaum eine halbe Minute.

 
    11. Kapitel
    Wieder in Saint-Malo
    Diesmal brauchte Gerber nach der Hafenverwaltung nicht lange zu suchen. Er war ja nun schon heimisch in dem alten bretonischen Städtchen.
    Vorsichtig bemühte er sich, über den Kommandanten des Bootes, dem er zugeteilt wurde, einige Erkundigungen einzuziehen.«Wir beneiden Sie nicht», erhielt er zur Antwort. Dieser kurze, inhaltsschwere Satz war nicht gerade geeignet, bei dem frischgebackenen Fähnrich rosige Hoffnungen zu wecken.
    Da sich der Kommandant nicht an Bord befand, meldete Gerber sich beim I WO. Kluge Augen schauten ihn an. Höfliche Fragen, Händeschütteln.
    Bald darauf war «Seite» zu hören, dann ein zorniges Gebrüll. Irgendein Maat war dem Alten in die Schußlinie gelaufen.
    Der I WO lächelte fein und hob lässig drei Finger. Als er Gerbers erstauntes Gesicht sah, erklärte er: «Windstärke drei! Wir teilen die Wutausbrüche des Kommandanten nach der Beaufort-Skala ein. Bei fünf bis sechs gibt es meist Arreststrafen, bei sieben Abkommandierungen, bei acht bis neun Strafabteilung.»
    «Und was geschieht bei Windstärke zehn bis zwölf?» fragte Gerber, neugierig.
    «Das überleben Sie nicht», meinte der Leutnant.
    Der Alte, Oberleutnant Rauh, hatte im Grunde genommen ein ausgeglichenes Temperament. Gerber erlebte ihn wochenlang nie anders als fuchsteufelswild. Rauh? dachte er. Nomen est omen!
    Leutnant Adam, der I WO, war in jeder Beziehung das genaue Gegenteil des Kommandanten. Gerber konnte nicht verstehen, daß die beiden überhaupt miteinander auskamen. Adam stammte aus einer wohlhabenden rheinischen Familie, sein Vater war Weinhändler. Im Laufe der Jahre hatte er seine Kenntnisse über die verschiedenen Jahrgänge, Herkünfte und Lagen der französischen Weine in hohem Maße vervollkommnet. Bei Einkäufen für die Messe war Adam unentbehrlich. Er hätte auch Sonderwünsche des Kommandanten berücksichtigt, aber Rauh hatte keine. Wein war für ihn Wein, höchstens einzuteilen in roten und weißen.
    Während der Kommandant herumbrüllte und die unflätigäten Ausdrücke gebrauchte, blieb Adam auch in schwierigen Situationen immer ruhig und beherrscht. Spätabends drang aus dem Maschinenraum noch lautes Gehämmer; eine Reparatur dauerte länger als vorgesehen. Am nächsten Morgen befahl Rauh seinen I WO zu sich und schnauzte: «Dieser Blödmann von Maschinist hat in seinem Dreckloch einen Lärm verzapf t wie hundert vom Papagei gebissene Affen! Wenn das noch mal passiert, mache ich diesem Saukerl ein Klistier, bis es ihm zum Schnorchel herauskommt! Sagen Sie ihm das, Adam!»
    Der Leutnant ließ den Maschinisten kommen und bat in höflichem Ton: «Versuchen Sie doch, Herr Obermaschinist, den Lärm einzuschränken und wenn möglich ganz abzustellen.» Der Leutnant war eben ein vornehmer Mann. Die Besatzung mochte ihn. Er behandelte niemanden ungerecht und hielt einen interessanten Unterricht. Den Kommandanten hingegen nahmen die Männer hin wie Donner und Blitz, Unwetter und Sturm.
    Gerber fühlte sich zu dem Leutnant hingezogen. Vor allem bewunderte er dessen Zielstrebigkeit. Adam betrachtete seinen Dienst bei der Marine als Durchgangsstadium, als unvermeidliches Übel. Vor dem Krieg hatte er einige Semester Mathematik und Physik studiert. Er wollte Hochschullehrer werden. In seiner Kammer stapelten sich Fachbücher. Jede freie Minute nutzte er, um sich weiterzubilden.
    Gerber merkte bald, daß er bei seinem Vorgesetzten eine Menge in Ballistik und Navigation lernen konnte. Zur Zeit studierte Adam ein Buch über Meteorologie. Bereitwillig hielt er dem wißbegierigen Fähnrich eine kleine Privatvorlesung. Dozieren lag ihm sehr, es war ihm bereits zur Natur geworden.
    In einer stillen Stunde, als der Kommandant von Bord gegangen war, stellte Gerber die Frage: «Warum ist Rauh eigentlich so ein Ekel?»
    Adam

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