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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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überlegte ein Weilchen, dann sagte er: «Rauh war Steuermann auf einem Fischlogger und schon damals ein Leuteschinder. Bei Kriegsausbruch hörte der Fischfang in der Nordsee auf. Rauh kam zur Marine. In seiner Ausbildungseinheit blieb er hängen. Was auf einem Fischlogger möglich war - Gebrüll, Gemeinheit und übelste Beschimpfungen -, ist auf dem Kasernenhof ausdrücklicher Befehl. Rauh brauchte nicht umzulernen. Aber er machte einen Fehler: Seine Tonart behielt er auch dort bei, wo es nicht angebracht war. Er hat eben keine andere Frequenz auf Lager. Ermahnungen, Verwarnungen, Strafen - alles blieb wirkungslos. Schließlich schob man ihn ab. Da er die Steuermannsprüfung hat, wurde er in diese Laufbahn übernommen. Der Aufstieg war nicht schwer. Im Krieg wird man schnell Oberleutnant der Reserve, sogar mit solchen Manieren. Tut mir leid, lieber Gerber, daß ich Ihnen keinen besseren Kommandanten offerieren kann. Wir müssen sehen, wie wir mit ihm zurechtkommen. Rauh ist ein primitiver Mensch, der wenig weiß und keinerlei Interessen hat. Hinter seiner Rauhbeinigkeit verbirgt sich nichts anderes als Unsicherheit und Schwäche. Sie sollten mal dabeisein, wenn er nicht weiter kann und mich heimlich fragen muß ... »
    Gerber war nun im Bilde. Solche Typen wie Rauh hatte er auf Dänholm erlebt und in Eckdorf. Offenbar gab es sie überall. Sie gehörten zum System.
    Da Rauh täglich mindestens ein Dutzend Schimpfkanonaden in immer neuen Abwandlungen losließ, konnte Gerber sich ausrechnen, daß er demnächst zum Anlüften fällig war.
    In der Woche vor Ostern ereilte ihn das Geschick.
    Einige Tage lag das Vorpostenboot nun schon auf Reede. Eine schwache Rauchfahne stieg aus dem Schornstein, die Kessel wurden unter Dampf gehalten. Eintönig verlief der Wachdienst.
    Nachmittags war Gerber allein auf der Brücke. Die Signalstation setzte «Fritz-Fritz». Flakalarm. Doch das besagte nicht viel. Der Warnkreis war sehr groß, und Flakalarm gab es täglich mehrere Male. Der Ausguck am Geschütz «Anton» meldete Flugzeuggeräusche. Gerber ließ die Persennings von den Maschinenwaffen abnehmen. Auf dem Führerboot wurde «Flie» hochgezogen. Alle anderen Boote setzten daraufhin auch «Flie».
    Jetzt hörte Gerber die Motorengeräusche ganz deutlich. Fast in Richtung Sonne waren drei kleine Maschinen auszumachen. Offenbar Spitfires. Sie kamen schräg auf die Boote zu. Auf dem Führerboot feuerte der Vierling. Gerber gab Feuererlaubnis, und sofort bellten die Zweizentimeterkanonen los. «Dora» hatte nach drei Schuß Ladehemmung.
    Im Fernglas erkannte Gerber, wie die Maschinen über die Backbordfläche abkippten. Für einen Augenblick waren die schwarzen Balkenkreuze sichtbar. Gerber durchzuckte ein Schreck. «Feuer einstellen!» rief er. «Flie nieder!» Sie hatten Görings glorreiche Luftwaffe beschossen.
    Zum Glück war nichts passiert. Die Leuchtspur von «Bruno» hatte weit achteraus gelegen. Aber Gerber hatte den Befehl zum Schießen gegeben. Natürlich war es leichtsinnig von den Schlipssoldaten, in Sichtweite der großen Reede zu kommen, noch dazu mit einer gleißenden Sonne hinter sich.
    Ehe Gerber sich von seinem Schreck erholen konnte, erscholl die gefürchtete Stimme des Kommandanten an Deck. «Wo gammelt bloß dieser kreuzdämliche Scheißfähnrich Gerber herum», brüllte er, daß es bis in den Hafen zu horen war.
    Behende turnte Rauh auf die Brücke. Gerber machte eine korrekte Meldung. Dann begann der Wasserfall zu rauschen:«...kontrolliere Ihnen das dreckige Arschloch auf Kakerlaken...» Gerber stand in strammer Haltung da. « ... versandete Miesmuschel können wohl Ihren Schließmuskel nicht beherrschen... » Der Kommandant wechselte nach Steuerbord, und Gerber machte eine kurze Kehrtwendung. «...vertorfter Banause die Klüsen wieder auf Null gehabt ... » Nun fuchtelte Rauh wild mit seinen Armen. «...dreckiger Schmierfink aus Hintergalizien ... » Diese Anspielung auf Gerbers Schulbildung und seine niederschlesische Herkunf t war nun doch zu hart. In Gerber schoß die Wut hoch. Alter Pavian, dachte er, steh du mal auf der Brücke und schau direkt in die Sonne ...
    Eine halbe Stunde später kam Leutnant Adam aus dem Kommandantenschapp, zeigte lässig fünf ausgestreckte Finger und brachte Gerber die neueste Nachricht: Er sei für die Feiertage dreimal hintereinander zum Dienst eingeteilt. Strafweise. Die übliche Garnierung würde folgen.
    Sie folgte. Gerber mußte eine genaue Munitionsaufstellung für

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