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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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und auf seinen Kahn übernommen.
    Bellmann hatte einen gesunden Appetit, er aß gern langsam und mit Genuß. Also dachte er nach, wie er dem Kommandanten ein Schnippchen schlagen könnte. Am folgenden Tag nahm er sich, als die Schüsseln herumgingen, nur eine kleine Portion. Damit war er sogar noch vor dem Alten fertig. Kurz bevor Rauh aufgegessen hatte, langte Bellmann nach den Schüsseln und häufte seinen Teller voll.
    Der Kommandant erhob sich. Verblüf t sah er auf den kauenden Fähnrich. «Lassen Sie sich nicht stören», knurrte er. Bellmann durfte weiteressen, auch nachdem Rauh gegangen war.
    Dergleichen konnte allenfalls noch als Scherz gelten. Bald darauf aber beging Bellmann einen schwerwiegenden Fehler. Bei einem Gefecht mit britischen Schnellbooten hatten die Sicherungsfahrzeuge abgedreht, um ihren Geleitzug besser gegen die Angreifer schützen zu können. Das entsprach genau den Weisungen der Geleitstelle. Über die Berechtigung des Manövers gab es jedoch in der Flottille recht unterschiedliche Meinungen.
    Der Kommandant lud einige Offiziere von den Nachbarbooten zum Umtrunk ein. Natürlich kam das Gespräch auf das leidige Thema. Rauh, der schon ziemlich betrunken war, hieb plötzlich mit der Faust auf den Tisch und schrie: «Das nächstemal drehen wir auf die Schnellboote zu!»
    «Dann hissen wir den Richard!» platzte Bellmann dazwischen.
    Das hätte er nicht sagen sollen. Die Offiziere schwiegen, eiskalt musterten sie den vorlauten Fähnrich. Er hatte sie an einer empfindlichen Stelle getroffen.
    «Richard», der Signalbuchstabe R, war der Befehl, zum Rammstoß anzusetzen. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, als die Schiffsartillerie noch eine wesentlich geringere Wirkung hatte, bedeutete der Rammstoß eine wichtige taktische Maßnahme. Später wurde er sinnlos, behielt aber aus unerfindlichen Gründen seinen Platz im Signalbuch.
    In der Seeschlacht vor dem Skagerrak hatte Admiral Scheer am 31. Mai 1916 um zwanzig Uhr siebenundzwanzig den «Richard» gehißt und seinen Schlachtkreuzern Befehl erteilt, gegen die britischen Linienschiffe zum Rammstoß anzusetzen. Nach allgemeiner Ansicht war das - gelinde ausgedrückt - eine gewaltige Eselei gewesen. Scheer mußte auch einige Minuten später den Befehl widerrufen. Natürlich kannte jeder diese alte Geschichte, aber Anspielungen darauf waren in der Kriegsmarine verpönt. Die älteren Offiziere waren sehr traditionsbewußt und hatten sich für den Hausgebrauch eine von allen Schlacken gereinigte Geschichte des Seekrieges zurechtgelegt, an die man eben zu glauben hatte. Wer das nicht konnte oder wollte, war unerwünscht.
    Bellmann war in diesem Augenblick für den Kommandanten «gestorben». Seine Degradierung stand fest. Es kam nur noch darauf an, eine günstige Gelegenheit zu finden. So wie Bellmann veranlagt war, brauchte der Kommandant nicht lange zu warten.
    An einem schönen warmen Maientag gingen Bellmann, Gerber und einige andere Besatzungsmitglieder zum Baden. Der kleine Strand «Bon Secours» lag dicht unterhalb der Stadtmauer. Frauen mit ihren Kindern, vielköpfige Familien, eine Besatzung unter Führung eines Oberbootsmannes und mehrere Gruppen junger Mädchen bevölkerten den schmalen Sandstreifen.
    Aus verschiedenen Gründen waren Beziehungen zwischen Deutschen und Franzosen streng verboten, ausgenommen «Floridabar» und «Navigateur». Bellmann aber glaubte sich an dem überfüllten Strand darüber hinwegsetzen zu können. Hafen, Boot und Kommandant waren weit entfernt. Außerdem: Wer sieht einem jungen Mann in der Badehose schon an, ob er Franzose ist oder Deutscher?
    Bald hatte er mit einer hübschen schlanken Brünetten ein Gespräch angeknüpft. «Bellmann!» rief Gerber warnend. Doch Bellmann hörte nicht auf ihn. Immer näher rückte er an das Mädchen heran, legte den Arm um ihre Taille.
    Niemand hatte bemerkt, daß der Kommandant auf der Lauer lag. Mit einem starken Fernglas beobachtete er von der Festungsmauer das Geschehen am Strand. Abends kam Bellmann nichtsahnend an Bord. Rauh donnerte ihn zusammen. «Ihnen hat wohl einer ins Gehirn gepinkelt, Sie schäbiger Flottenfurz! Wollen am Strand die scharfe Liebe machen, was?»
    Bellmann verteidigte sich. Das brachte den Kommandanten noch mehr in Harnisch. Am liebsten hätte er sofort einen Bericht aufgesetzt, aber er mußte die Vorschrif t einhalten und erst eine Nacht darüber verstreichen lassen.
    Am anderen Morgen, noch vor dem Frühstück, befahl er Gerber zu

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