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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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er mich belogen? Er hätte mir doch sagen können, daß er eine Eroberung gemacht hat. Gerhard war tief verletzt. Er konnte nicht verstehen,daß eine Zufallsbekanntschaf mehr galt als langjährige Freundschaft.
    In den folgenden Tagen zog er sich völlig von der Außenwelt zurück. Das regnerische Wetter untermalte die trube Stimmung, in der er sich befand. Er las viel oder spielte mit dem Vater Schach. Die Eltern freuten sich, daß der Sohn so häuslich war.
    Die Freunde sahen sich noch einmal kurz vor Koppelmanns Abreise. Das Gespräch tröpfelte dahin, die alte Herzlichkeit wollte sich nicht wieder einstellen. «Also dann mach's gut, Kleiner», sagte Gerhard beim Abschied. Für ein paar Sekunden fühlte er Helmuts schmale Hand in der seinen.
     
    Zwei Briefe trafen ein. Der eine enthielt die Kommandierung, des Fähnrichs Gerber zu einer Vorpostenflottille. Gerhard seufzte. «Wieder so ein Gammeldampfer, und wieder Saint-Malo! Das ist offenbar mein Schicksal.»
    Der andere Brief kam aus der Uckermark. Ob er Zeit und Lust habe, seine letzten Urlaubstage bei der Familie von der Groeben zu verbringen?
    Gerhard war ziemlich aufgeregt. Noch aufgeregter war sein Vater. Genußvoll betrachtete er das geprägte Wappen auf dem Briefbogen. Zu so vornehmen Leuten war sein Gerhard eingeladen! Das zählte mehr als die öde Kommandierung.
    Am nächsten Tag brachte Studienrat Gerber einen Stapel Bücher mit nach Hause. Emsig trug er alles zusammen, was über diese preußische Adelsfamilie zu finden war. «Ein Flügeladjutant von König Friedrich Wilhelm dem Vierten hieß von der Groeben ...» Stundenlang mußte Gerhard Knigge-Lektionen über sich ergehen lassen. Sie übertrafen bei weitem die altmodischen Vorschriften, die in Mürwik gelehrt wurden.
    Frau Gerber wurde von den fieberhaften Vorbereitungen angesteckt. Sie stammte aus der Landwirtschaft, von einem Hof mit zehn Kühen und drei Pferden. «Erkundige dich auch genau, wie viele Morgen Land die Leute haben, und wie viele Pferde und Kühe!" Danach beurteilte sie den Reichtum. Gerhard beschloß im stillen, die Zahlen erheblich nach oben abzurunden, um der Mutter eine Freude zu bereiten.
    Gerhard machte sich auf die Reise. Telegraphisch hatte er seine Ankunf t mitgeteilt. Groeben holte ihn vom Bahnhof in Prenzlau ab. Mit einem zweispännigen Kutschwägelchen fuhren sie einige Kilometer auf der Landstraße zum Sitz der Familie. «Normalerweise fahren wir vierspännig», sagte Groeben entschuldigend, «aber jetzt im Krieg ... »
    Der Wagen hielt vor einem großen, aus hellgelben Ziegelsteinen errichteten Schloß. Das Dach, in dessen Mitte sich ein sechseckiges Türmchen befand, war mit hellgrünen, glasierten Ziegeln gedeckt. Trotz seiner hohen Fenster wirkte der dreigeschossige Bau klobig.
    Die breite Freitreppe mit schmiedeeisernem Geländer führte auf eine Veranda. Sie war offenbar erst nach der Vollendung des Baues durch ein Glasdach abgeschlossen worden und zerstörte die Einheitlichkeit der Fassade.
    Ein alter Diener eilte herbei, um das Gepäck in Empfang zu nehmen. Er trug eine schwarze Livree und dicke weiße Kniestrümpfe, wie sie zur Goethezeit Mode gewesen sein mochten. Gerhard merkte, daß dem alten Mann das Tragen der beiden Koffer schwerfiel. Als er jedoch Miene machte, hilfreich mit anzufassen, hielt ihn Groeben mit einer leichten Handbewegung zurück. Dergleichen war hier nicht üblich.
    Die Eingangshalle war düster. Durch eine offene Tür erblickte Gerhard im Vorübergehen einen hohen Saal, dessen Fußboden mit Mosaiksteinehen kunstvoll ausgelegt war.
    Die Räume im Obergeschoß waren etwas gemütlicher. Überall standen riesige Möbel, wie Gerhard sie zum erstenmal sah. Im Gästezimmer, das für ihn hergerichtet wurde, fand er einen drei Meter breiten Schrank vor und ein ebenso geräumiges Bett. Zweifelnd schaute er auf den altmodischen Kanonenofen. Im strengen Winter hätte er hier nicht wohnen mögen, denn er traute diesem Ungetüm keine nennenswerte Leistung zu.
    Der grauhaarige Diener wurde von der Familie «Tobias» gerufen. Mit seiner umständlichen Redeweise machte er auf Gerhard den Eindruck eines Fabelwesens aus längst vergangener Zeit. «Gestatten der Herr Fähnrich, daß ich mir höflichst die Frage erlaube, wann der Herr Fähnrich bereit sind, von der Frau Gräfin empfangen zu werden?»
    Wieso Gräfin, die Groebens waren doch Freiherren?
    Tobias klärte ihn taktvoll auf: Groebens Mutter war eine gebürtige Gräfin. Sie legte Wert darauf, auch

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