Irrfahrt
nach ihrer Verheiratung so tituliert zu werden.
Die Gräfin sah mit ihrem schlohweißen Haar und dem schwarzen Brokatkleid sehr würdig aus. Gerhard machte eine tiefe Verbeugung und küßte ihr die Hand, getreu den in Mürwik erhaltenen Instruktionen. Bescheiden setzte er sich auf die Kante des Sessels, der ihm angeboten wurde. Er durfte einen Likör mittrinken. Das langstielige Silbergefäß hatte nur eine winzige Schale für die Flüssigkeit.
Gerhard gab sich große Mühe, für die Unterhaltung in einern so vornehmen Hause die passenden Formulierungen zu finden. «Gestatten Frau Gräfin, daß ich meinen ergebensten Dank für die überaus liebenswürdige Einladung auf das Schloß der Frau Gräfin zum Ausdruck bringe ... » Offensichtlieh hatte er den richtigen Ton getroffen, denn die Gräfin nickte huldvoll.
Groeben stellte ihn nun seinem älteren Bruder vor. Er war seit dem Tode des Vaters für die Leitung des Gutes verantwortlich. Die Brüder sahen einander sehr ähnlich.
Tobias trat ein und meldete, das Essen könne serviert werden. Gerhard war der Gräfin beim Aufstehen behilflich und reichte ihr den Arm. Feierlich geleitete die Familie ihren Gast zu einem riesigen Gemälde, das im Speisesaal hing. Es zeigte den erlauchten Vorfahr und Gründer von Groß-Friedrichsburg an der Goldküste, dargestellt in einer phantastisch bunten Uniform.
Gerhard fühlte sich verpflichtet, eine gewisse Ähnlichkeit der beiden jungen Herren mit ihrem Vorfahr zu entdecken, obwohl davon keine Rede sein konnte. Die Gräfin brach über dieses gelungene Kompliment in Entzücken aus. Der Besucher hätte ihr keine größere Freude machen können. Nur die strenge Erziehung verbot ihr, Gefühle dieser Art noch deutlicher zu zeigen.
Gerhard mußte an das Gespräch mit seinem Vater denken. Wenn ich jetzt ein Wort von Sklavenhandel sage, bin ich bestimmt die längste Zeit hiergewesen.
Im Speisesaal hing noch ein zweites Porträt. Es zeigte einen preußischen General in der Uniform, die Mitte des vorigen Jahrhunderts getragen wurde. Zur Überraschung der Hausherrin wußte Gerhard auch über diesen Mann ein bißchen Bescheid. Er war der Urgroßvater der beiden Groebens und hatte König Friedrich Wilhelm IV. als Adjutant gedient. Aus diesem Grunde hießen die Söhne beide Friedrich Wilhelm. Der eine hatte Friedrich, der andere Wilhelm zum Taufnamen erhalten. Diese im Prinzip unstatthafte Regelung war nur unter großen Schwierigkeiten durchgesetzt worden.
«Heute fahren wir durch unsere Felder», sagte Friedrich Wilhelm nach dem Essen zu Friedrich Wilhelm. «In Zivil natürlich!»
Gerhard erschrak; er hatte überhaupt nicht daran gedacht, Zivilkleider mitzunehmen.
Die Brüder lachten. «Für Sie findet sich schon etwas.»
Auf dem Dachboden standen zahlreiche Schränke und Kisten, die mit Kleidung und Schuhwerk vollgestopf waren. Hier schien man alles aufzuheben sogar einen Kavalleriehelm aus der Zeit vor 1914. Daneben sah Gerhard auch Sachen, die verhältnismäßig neu waren.
Ein Paar Stiefel, Reithosen und eine grüne Joppe in passender Größe waren bald gefunden. Mit dem Fundus dieses Dachbodens hätten die Groebens mühelos eine ganze Kompanie einkleiden können, je nach Bedarf in Zivil oder Uniform.
Auf den Feldern wurden Rüben verzogen. Männer in zerlumpten, braunen Uniformen hockten am Boden und entfernten die überzähligen Pflänzchen. Ihr Schuhwerk befand sich in bedauernswertem Zustand. Viele hatten sich alte Lappen um die Füße gebunden, an denen jetzt Klumpen von braunem Lehm hingen.
«Unsere Russen», sagte der ältere Groeben. «Wir haben ein Arbeitskommando von sechzig Mann. Sie wohnen in der Schnitterkaserne. Unsere Leute sind ja größtenteils eingezogen. Manche arbeiten in der Munitionsfabrik, dort ist mehr zu verdienen als auf dem Lande. Gräßlich, dieser Leutemangel!»
Gerhard mußte an den Stapel Schuhwerk denken, den er auf dem Dachboden im Schloß gesehen hatte. Offenbar kam hier niemand auf die Idee, den Gefangenen ein Paar alte Stiefel oder Schnürschuhe zu geben.
Mit schnellen Schritten eilte der Verwalter auf die jungen Männer zu. Höflich zog er seinen Hut und behielt ihn während der Unterredung in der Hand.
Der ältere Groeben ließ ihn berichten. Ein Pferd war krank. Genau erkundigte er sich nach allen Symptomen, nach den getroffenen und noch geplanten Maßnahmen. Es folgte eine längere Diskussion, von der Gerhard kaum ein Wort verstand. Schließlich winkte Groeben einem Jungen, der sich auf
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