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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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Apelts vor der Haustür!»
     
    Das Dienstmädchen führte die beiden Fähnriche ins Wohnzimmer. Der große Raum mit seinen handgeschnitzten Möbeln war ihnen wohlvertraut. Nur eins hatte sich verändert: Das Photo ihres Schulkameraden stand eingerahmt auf der Kommode, mit einem Trauerflor.
    Die Schiebetür wurde aufgerollt. Frau Apelt, ganz in Schwarz, der Vater im Sonntagsanzug, die Schwester in einem eng anliegenden schwarzen Kleid. Ihr Besuch kam offenbar nicht unerwartet.
    Handkuß, Blumenstrauß. Männlicher Händedruck für Dr. Apelt. Der Schwester gaben beide nur die Hand. Angelika war jetzt fünfzehn. Einen Handkuß fanden die Fähnriche unpassend; immerhin hatten sie als Kinder miteinander gespielt.
    Der Hausherr forderte sie höflich auf, Platz zu nehmen. Niemand wollte den Anfang machen. Peinliche Stille. Helmut öffnete schon den Mund, aber die gespannte Erwartung der anderen irritierte ihn.
    Schließlich brach Frau Apelt das Schweigen: «Wie lange haben Sie denn Urlaub?» Gott sei Dank. wenigstens ein Wort! Noch dazu eine sachliche Frage, die leicht zu beantworten war. Helmut und Gerhard fühlten sich erlöst.
    Zur Überraschung aller Anwesenden stellte sich heraus daß nur Gerhard drei Wochen Urlaub hatte. Für Helmut Koppelmann waren lediglich zwei Wochen bewilligt worden. Die eine Woche Kurzurlaub nach Rückkehr aus dem Atlantik hatte man ihm unbarmherzig abgezogen. Das sei, versicherte er nachdrücklich, ganz typisch für die Marinebürokraten.
    Damit war das Gespräch beim Thema Marine angekommen. Stockend und mit Verspätung sagte Gerhard die auswendig gelernten Sätze. Diese Gedanken hätten an den Anfang gehört. Jetzt verhallten sie wirkungslos. Nach einer Viertelstunde standen die jungen Männer wieder auf der Straße. Der Kondolenzbesuch war völlig mißlungen, an der Etikette erstickt.
    Für den Nachmittag schlug Gerhard einen Spaziergang durch den Stadtwald vor. Vielleicht könnte man dabei eine nette Bekanntschaf t machen.
    Helmut blickte verlegen zur Seite. «Geht leider nicht. Ich habe schon eine ... Verabredung. Die Familie, weißt du ... »
    Gerhard wurde ärgerlich. «Was ist eigentlich mit dir los?»
    «Gar nichts. Was soll schon los sein. Ich muß zu meiner Großmutter.»
    «Wohl dem, der noch eine Großmutter hab, spottete Gerhard. Sein Mißtrauen war erwacht, aber er fragte nicht weiter.
     
    Montag. Wieder so ein langweiliger Tag. Gerhard ging zu seiner alten Penne. Auf sein Klingeln öffnete ein älterer Mann in Filzpantoffeln. «Ist Herr Rämisch nicht mehr da?»
    Nein, der Hauptsturmführer war nicht mehr da, Eingezogen, zur Kriegsmarine. Gerhard konnte seine Überraschung nicht verbergen. Rämisch bei der Kriegsmarine? Er versuchte Genaueres zu erfahren, doch der Hausmeister zuckte mit den Achseln.
    An diesem Vormittag erfuhr Gerhard viele schlechte Nachrichten. Stall, der Jagdflieger, war schwer verwundet, der kleine Kalle bei Leningrad vermißt. Nun hatte Dr. Scholz beide Söhne im Osten verloren. Die Hälfte der Klasse war gefallen oder zum Krüppel geschossen. Und wann bin ich dran? fragte sich Gerhard.
    Auf dem Flur traf er Moppel. Der kleine Mann sah ganz zusammengeschrumpf t aus. Er war fast siebzig und mußte immer noch unterrichten.
    Moppel hatte gerade eine Freistunde. Er nahm Gerhard mit ins Lehrerzimmer. Dort waren sie ungestört. «Weshalb Rämisch eingezogen ist?» Moppel kicherte böse. «Schiebung mit Lebensmittelkarten. Die anderen sitzen im Gefängnis, haben ziemlich hohe Strafen. Ihn hat die Partei vorher abgeschoben. Stecken ja alle unter einer Decke.»
    Sieh mal an, Pg. Rämisch ein Betruger, ein Volksfeind! Gerhard gab seiner Empörung Ausdruck, daß der verhaßte Hausmeister so glimpflich davongekommen war.
    «Aber sprich nicht darüber», warnte Moppel.
    Direktor Gall empfing seinen ehemaligen Schüler mit markigen Begrüßungsworten. «Vielleicht könnten Sie vor der gesamten Schülerschaf t über Ihre Erlebnisse ... » Gerhard erfand eine glaubhafte Ausrede. Was sollte jemand schon erzählen, der keine Heldentaten aufzuweisen hatte.
    Ziellos schlenderte er durch die Innenstadt. Plötzlich entdeckte er, in der Nähe des Marktplatzes, seinen Freund Helmut. Er ging auf der anderen Straßenseite, in Begleitung einer üppigen Blondine. Sie war etwas größer als er und bestimmt auch älter. Neben ihr wirkte der schmächtige Koppelmann wie ein Knabe.
    Gerhard bog in die nächste Seitenstraße ein. Er wollte sich und Helmut die Begegnung ersparen. Warum hat

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