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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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alle Geschütze anfertigen, getrennt nach Aufbewahrungsort. Die beiden Matrosen, die geschossen hatten, durften beim Zählen helfen. Nachts war alle zwei Stunden eine schriftliche Meldung über die Kontrolle der Verdunklungen abzugeben, ferner der Wasserstand im Hafenbecken zu messen und aufzuzeichnen. Das war glatte Schikane. Der Wasserstand wurde von der Signalstation registriert und an die Schiffe durchgegeben, wenn Veränderungen eintraten.
    Gerber schluckte. Drei Tage lang würde er von morgens bis abends voll beschäftigt sein. Und nachts klingelte dann alle zwei Stunden der Wecker. «Trösten Sie sich», sagte Adam, «es hätte noch schlechter ausgehen können.»
     
    Nach dem verpatzten Osterfest überlegte Gerber, wie er die Scharte wieder auswetzen könnte. Er wußte, daß der Kommandant einen Kummer hatte: Seine Messe war wie ein Taubenschlag. Zu allen Tageszeiten kamen Besucher. Erträglich waren noch der Sperrwaffenoffizier und der ArtilIerieoffizier, sie hatten wenigstens dienstliche Gründe. Daß nebenbei ein Gläschen getrunken wurde, war nicht weiter schlimm.
    Andere «Badegäste» dagegen hielten sich ohne triftigen Anlaß stundenlang auf. Der größte Nassauer war der Hafenkapitän. Er verfügte über ein Stehvermögen, um das ihn jeder Pirat des siebzehnten Jahrhunderts beneidet hätte. Kaum hatte er einen großen Kognak gekippt, schaute er den Backschafter schon wieder erwartungsvoll an. Im Laufe einer knappen Stunde trank er ein ganzes Dutzend Schnäpse.
    Gerber hatte eine Idee, die der Kommandant sofort mit Begeisterung aufnahm. Normalerweise wurde nach dem Frühstück in der Messe Reinschif f gemacht. Trafen die ersten Besucher ein, waren Back und Stühle bereits, auf Hochglanz gebracht. Nach dem neuen System unterblieb zunächst jegliche Reinigung. Sobald ein unerwünschter Besucher kam, wurden ihm zwei Schnäpse bewilligt. Dann erschien der Backschafter und fragte höflich den Kommandanten, ob er aufklaren dürfe. Der Alte gab gnädig die Erlaubnis. Der Backschafter kreuzte erneut auf, diesmal mit Pütz und Feudel. Dem Besucher blieb nichts anderes übrig, als die ungastliche Stätte zu verlassen.
    Diese Taktik wurde bei dem Hafenkapitän mit großem Erfolg ausprobiert. Erbost schnaubte der dicke Mann durch seine Nüstern, als ihm der durchsichtige Trick vorgespielt wurde, nahm gereizt seine Mütze und ging. Der Kommandant geleitete ihn bis zur Stelling und wollte «Seite» pfeifen lassen. «Keine Seite», fauchte der Hafenkapitän. «Wenn ich hier ärschlings von Bord krieche, brauchen das nicht alle Leute zu sehen.»
    Er kam nie wieder in die Messe. Dafür teilte er dem Boot nach jedem Einlaufen den unangenehmsten Liegeplatz zu, möglichst an der Kohlenpier. Anfangs nahm Rauh das in Kauf, doch bald schon richtete sich sein Zorn gegen den Urheber der Idee, und für Gerber war alles wieder beim alten.
     
    Mitte April stieg ein weiterer Fähnrich auf dem Boot ein. Er war untersetzt, kräftig, hatte abstehende Ohren und ein breites Vollmondgesicht, auf dem stets ein Anflug von Lächeln lag. Olaf-Hilmar Bellmann stammte aus Berlin. Seine anspruchsvollen Vornamen waren geeignet, bei dem Kommandanten sofort Mißtrauen und Abneigung zu erwecken. Zudem trat Bellmann sehr selbstsicher auf. Er hatte eine echte Berliner Schnauze und war in Wortgefechten nicht so leicht unterzukriegen. Wer ihm widersprach, hatte «Tomaten auf den Augen», «nicht alle Tassen im Schrank» oder war «bei der letzten Luftschutzübung nicht wieder entwarnt» worden. Die Matrosen amüsierten sich über ihn, die Vorgesetzten schätzten solche Schlagfertigkeit weniger.
    Als die erste Schimpfkanonade auf Bellmann herniederprasselte, stand er zwar in vorschriftsmäßiger Haltung vor dem Kommandanten, aber sein Lächeln wurde zum Grinsen, und er tat ein übriges, was nicht jeder konnte: er wackelte mit den Ohren. Aus alledem war ersichtlich, daß Rauhs Einschüchterungsmethode an dem neuen Besatzungsmitglied versagte.
    «Das geht nicht gut», meinte Leutnant Adam, als ihm Gerber davon berichtete. «Geben Sie dem Fähnrich einen Wink.»
    Trotzdem steuerte Bellmann seinen Kollisionskurs weiter.
    Der Kommandant hatte die Angewohnheit, sehr schnell zu essen. Wer in der Messe nicht verhungern wollte, mußte sein Mittagsmahl hinunterschlingen. Sofort nach der Leerung seines Tellers rief der Alte «Mahlzeit!», stand auf und befahl dem O-Backschafter abzuräumen. Diese feudale Sitte hatte Rauh irgendeinem Tirpitz-Schüler abgeguckt

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