Irrfahrt
kauerte sich auf den Boden des Schlauchbootes, um die Wärme gut zu nutzen.
Langsam begann er sich zu erholen. Dann zählte er. Nur acht Mann waren auf dem anderen Boot; mit zehn hatte die nächtliche Fahrt begonnen. Als er fragte, wo die Fehlenden geblieben seien, erhielt er keine Antwort.
Energisch nahm Gerber die Rettungsaktion für die übrigen Besatzungsmitglieder in die Hand. Die Männer verteilten sich auf beide Boote und suchten systematisch im Wasser nach Überlebenden. Jeder Schwimmer wurde angelaufen und ins Boot gezogen. Für die meisten kam die Hilfe zu spät. Tief hingen ihre Köpfe im Wasser, sie hatten den Kampf gegen die Fluten aufgegeben. Mancher Tote hatte blutunterlaufene Kratzer im Gesicht, sogar Platzwunden. Es war sinnlos, die Schuldfrage zu stellen.
Die geretteten Männer waren sehr schwach und froren erbärmlich in ihren nassen Sachen. Man konnte wenig für sie tun, denn in den Booten befanden sich weder trockene Kleider noch Eßwaren.
Gerber trieb seine Männer zur Eile an. «Wo ist Leutnant Adam?»
Niemand hatte ihn gesehen.
Gerber krampfte sich das Herz zusammen. Schattenhaft sah er Adam an Deck stehen und seine Schwimmweste abtasten. Und was war danach? Als er das letztemal mit Rauh sprach, hatte Adam sich noch nicht abgemeldet ...
«Wann kommt Rettung?» fragten die Männer immer wieder.
Gerber sagte ihnen, was er wußte. Das Vorpostenboot hatte Befehl, stündlich eine genaue Positionsmeldung zu geben. Die letzte war um dreiundzwanzig Uhr herausgegangen. Eine Stunde später befand sich der Dampfer bereits in sinkendem Zustand. Kurz nach Mitternacht mußte man also in Malo begriffen haben, daß etwas geschehen war. Die Minensuchflottille sollte irgendwo zwischen «Ida eins» und «Ida sieben» vor der Hafeneinfahrt eine Unternehmung durchführen. Wahrscheinlich würden einige Logger bei Sonnenaufgang ihre Geräte einholen und sich auf die Suche nach dem verlorenen Fahrzeug begeben. Frühestens in zwei Stunden konnten sie hier sein.
«Und wenn sie uns vergessen haben? Wenn es dem Chef zu riskant ist, die Logger bei Tage der Fliegergefahr auszusetzen?»
Gerber schwieg. Es war ihm nicht möglich, das Mißtrauen in die höhere Führung zu entkräften.
Der Signalgast hatte eine Leuchtpistole ins Koppel gesteckt, als er von Bord ging. Er besaß nur zwei gelbe Patronen aber jetzt, nach Anbruch der Helligkeit, war die Farbe nicht ausschlaggebend.
Kurz nach sieben Uhr wurden kleine Punkte am Horizont sichtbar, die allmählich wuchsen und näher kamen. Die Männer schluchzten vor Freude. Man hatte sie in Malo nicht vergessen! Sofort schoß der Signalgast eine Leuchtkugel ab. Gespannt warteten alle auf eine Reaktion. Der Schiffsverband war vielleicht nach Granville unterwegs; dabei konnten sie die winzigen Schlauchboote auf den Wellen leicht übersehen. Eine Minute später ging auf dem ersten Fahrzeug eine gelbe Leuchtkugel hoch.
Gerber erkannte die Logger der Minensuchflottille an ihren hohen Aufbauten. Boot VI fuhr an der Spitze und hielt genau auf sie zu. Viele Helfer erschienen an Deck, um die erschöpften Männer an Bord zu nehmen und die Toten zu bergen. In der Kombüse standen heißer Kaffee und warmes Essen bereit. Gierig wurden die Teller geleert, und in kurzer Zeit war von dem Kessel Erbsensuppe nichts mehr übrig.
Gerber meldete sich beim Kommandanten und dankte für die Rettung. Er erfuhr, daß sie eines der Flöße gefunden hatten; von dem anderen waren alle Männer umgekommen. Von Leutnant Adam keine Spur.
Die geretteten Männer wurden im Schloß der Festung Malo untergebracht. Nur siebzehn von sechsundvierzig hatten die Katastrophe überlebt. Ihr einziger Besitz war das, was sie auf dem Leibe trugen. Die NeueinkIeidung verlief sehr schleppend, da sich manche Ausrüstungsstücke nicht am Lager befanden. «Zu viele Boote abgesoffen», sagte der Kammerbulle bedauernd.
Im Quartier standen eiserne Feldbetten und Wehrmachtspinde.
Morgens wurde kurz die Stube ausgefegt, für den restlichen Tag war dienstfrei. Gerber lief zum Flottillenstab, zur Hafenverwaltung, fragte im Lazarett. Niemand konnte ihm über den Verbleib des Leutnants eine Auskunft geben. Da wußte er, daß Adam tot war.
Tiefe Niedergeschlagenheit erfaßte ihn. Tagelang sprach er kaum ein Wort, quälte sich mit Selbstvorwürfen. Der Erste Offizier gehört ins erste Boot, das ablegt. Wenigstens eine Tradition, die zu etwas gut gewesen wäre. Und wir lassen ihn an Bord, den besten Mann haben wir draußen
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