Irrfahrt
Ersatzinfanteristen in Bewegung. Der Festungsdienst war wohl doch nicht die richtige Beschäftigung für sie. «Toni-Hans-Paula», sagte er, «die Übung ist beendet.»
Beendet war sie noch längst nicht. Der Marsch im Halbdunkel wurde beschwerlich. Gerber mußte eine Vorhut und Marschsicherungen einteilen. Posten, die sich entlang der Straße aufgebaut hatten, warnten eindringiich vor «Terroristen». Mehrfach ging der Haufen in Deckung, als Kugeln vorbeizirpten. Für die Fünfkilometerstrecke brauchten sie drei Stunden.
Das erste, was Gerber auffiel, war ein unförmiger Apparat auf dem Achterdeck. Er sah aus wie eine riesige Mine, war stark verrostet und offenbar in Eile hergerichtet.
Leutnant Adam begrüßte den Oberfähnrich mit herzlichem Händeschütteln. «Uns ist bedeutend wohler, die Besatzung und die Maschinenwaffen wieder an Bord zu haben.»
Im Kartenhaus sprachen sie über die Kriegslage. «Alle Vermutungen, daß noch in anderen Gebieten eine größere Landung erfolgt, haben sich als irrig erwiesen.» Das Wort «irrig» sprach Adam so gedehnt, als wollte er «irrsinnig» sagen und damit den geistigen Zustand der Generalstäbler kennzeichnen.
«Die Landeköpfe haben sich vereinigt. Damit beherrschen die Anglo-Amerikaner ein Aufmarschgebiet von mindestens zehn Kilometer Tiefe und mehr als sechzig Kilometer Breite. Sie haben einen künstlichen Hafen errichtet, an dessen Pier schwere Waffen ausgeladen werden können. Fast eine Viertelmillion Mann sind bereits auf dem Kontinent... »
Gerber blätterte in den Meldungen, die auf dem Tisch lagen. «Davon steht hier aber nichts», sagte er zweifelnd.
Adam lächelte. «Es gibt noch andere Informationsquellen, mein Lieber. Schon mal etwas von einem gewissen Soldatensender gehört?»
Gerber schämte sich ein wenig. Natürlich kannte er den britischen «Soldatensender Atlantik". Seine Berichte klangen teilweise so echt, daß man ihn «versehentlich» einschalten konnte. Sogar der offizielle Wehrmachtbericht wurde über diesen Sender ausgestrahlt, manchmal mit kaum erkennbaren Änderungen.
Während Gerbers Abwesenheit war in Saint-Malo allerhand los gewesen. Britische Zerstörer hatten Vorpostenboote und Minensucher angegriffen, Schnellboote wurden vor der Küste gesichtet, die Ortungsgeräte faßten Minenleger auf. Es bestand höchste Alarmstufe.
Die Verbindung zu Jersey, Guernsey und Alderney war bedroht. Es wurde immer schwieriger, Geleitzüge über die offene See zu bringen. Nun hatte sich die Flottillenleitung ausgerechnet, daß die Klippenfelder zwischen Malo und Jersey einen ausgezeichneten Schutz vor unliebsamen Uberraschungen in der Nacht boten, weil britische Schiffe dort nicht manövrieren konnten. Zwischen den Klippen verlief eine schmale Durchfahrt, die wegen ihrer Gefährlichkeit nur tagsüber benutzt wurde. Der Befehlshaber des Küstenabschnitts wollte die engste Stelle durch eine Boje markieren und sie auch für Nachteinsätze passierbar machen.
Diesen heiklen Sonderauftrag hatte man Oberleutnant Rauh übertragen. Dabei ging es weniger um die Person des Kommandanten als um seinen I WO. Leutnant Adam war als erstklassiger Navigator bekannt. Er konnte auch bei bewegter See den Platz für die Boje so genau anpeilen, daß die Unternehmung ein Erfolg wurde. Natürlich sagte das niemand zu Rauh.
Auf dem Vorpostenboot war man von dem Auftrag nicht erbaut. Nacht für Nacht gingen Boote verloren. Sie liefen auf Minen wurden torpediert oder von überlegener britischer Artillerie zusammengeschossen. Im Verband konnten wenigstens die Überlebenden gerettet werden. Jede Einzelfahrt eines schwachen Kriegsfahrzeugs aber bedeutete ein großes Risiko. Das wußten alle: der Flottillenchef, Rauh, Adam, Gerber.
Noch in derselben Nacht sollte es losgehen; der Befehl duldete keinen Aufschub. Die Boje lag bereits auf dem Achterdeck. Es war jener unförmige Apparat, über den Gerber sich den Kopf zerbrochen hatte.
Drei Stunden einsame Fahrt. Bald mußte der Dampfer mit seiner Fracht am Ziel sein. Hin und wieder schimmerte fahles Mondlicht durch die Wolkendecke, und Gerber glaubte bereits die Klippen zu erkennen. Die Leuchttürme von Cap Frehel, Jersey und Malo waren eingeschaltet.
Bei dem Seegang machte die Peilung erhebliche Schwierigkeiten, aber Leutnant Adam verstand es geschickt, durch mehrfache Aufnahme der Zahlen und Mittelbildung die Fehler stark zu reduzieren. Er stand am Peilgerät vor dem Kartenhaus, Gerber mußte schreiben. Im Voraus hatte
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