Irrfahrt
hatten.
Das Lokal wurde abgeschlossen. Die drei waren die einzigen Gäste und wollten ungestört bleiben. Schließlich war man ja auch dienstlich hier. Für den Dicken hatte die junge Kellnerin vorsorglich einen breiten Sessel bereitgestellt, in dem er mit unterdrücktem Stöhnen Platz nahm.
Kloss ging an die Zusammenstellung des Essens wie ein Generalstäbler an die Vorbereitung einer größeren militärischen Operation. Die Kellnerin mußte sogar die Madame aus der Küche holen. Freundlich grinsend kam sie angewatschelt, der Oberleutnant gehörte zu ihren besten Kunden. Sie zählte ihre Vorräte auf. Mehrmals nickte er beifällig und gab genaue Anweisungen, wie und in welcher Abfolge die Gerichte zuzubereiten waren.
Die Weinkarte umfaßte fünf Seiten. Kloss schlug die letzte Seite auf und studierte die Liste von rückwärts. Dort standen die besseren Sorten. Er wählte einen Beaujolais Jahrgang 1907 und ließ gleich zwei Flaschen temperieren. Gerber wurde der Kragen eng. Der Wein kostete bestimmt ein Vermögen.
Das Menü begann mit gefüllten Artischockenböden.
Die Blütenblätter hatte man entfernt und an ihre Stelle ein Gemisch aus gehacktem Ei, Früchten, Pistazienkernen, Olivenöl und verschiedenen Gewürzen getan. Geschickt beförderte die Kellnerin die garnierten Böden auf die Teller und stellte für jeden eine Sauciere mit zerlassener Butter daneben.
«Na, dann wollen wir mal», sagte der Oberleutnant.
Gerber hatte noch nie Artischockenböden gegessen. Verstohlen beobachtete er, wie Kloss die Kelchblätter ablöste, in Butter tunkte und genießerisch auslutschte.
Der Dicke nahm sich Zeit beim Essen - und beim Reden. Umständlich verbreitete er sich über die Vorzüge und Nachteile verschiedener Zubereitungsarten, zu welcher Jahreszeit man Artischocken essen könne und wann nicht.
Die Vorspeise wurde serviert: Krebsschwänze in einer sämigen, rosafarbenen Tunke. Kloss fragte die beiden jungen Männer,ob sie wohl wüßten, aus welchen Zutaten die Tunke bestünde. Dieser Frage zeigten sie sich in keiner Weise gewachsen. «Süße Sahne», rief er triumphierend, «mit Meerrettich, Tomatenpüree und einer Spur Mostrich verrührt, dazu einen Schuß Kognak und etwas Zitronensaft.» Ein längerer Vortrag über den Krebsfang folgte. Die hierorts angewendete Methode hielt der Oberleutnant für rückständig und wenig produktiv.
Das nächste Gericht nannte sich Crepes Suzette. Es bestand aus kleinen, hauchdünnen Eierkuchen mit delikater Füllung. Kloss ließ die Bissen auf der Zunge zergehen. Seinen staunenden Zuhörern erzählte er, welcher Meister der Kochkunst diese Crepes erfunden hatte. Der spätere König Eduard VII. pflegte, als er noch Prinz von Wales war, des öfteren inkognito nach Paris zu fahren und mit seiner jeweiligen Geliebten bei besagtem Manne zu speisen. Als dieses Gericht erstmalig auf den Tisch kam, hieß die Angebetete des Prinzen gerade Suzette. Daher der Name.
«Das lag ja nahe», sagte Gerber höflich.
Kloss brach in ein brüllendes Gelächter aus und musterte den Oberfähnrich wohlwollend. Gerber hatte unfreiwillig einen kapitalen Witz gerissen. «Naheliegen» konnte bei einer Dame des horizontalen Gewerbes durchaus wörtlich aufgefaßt werden.
Inzwischen hatte die Kellnerin einen Anrichtetisch herngerollt und damit begonnen, vorgebratene Filetsteaks über dem Spirituskocher zu flambieren. Andächtig schauten die drei auf das appetitlich mit Aprikosenhälften und Kirschen garnierte Fleisch, ehe sie zum Besteck griffen.
Beim Hauptgang kam Oberleutnant Kloss endlich zur Sache. «Wir haben kürzlich zwei Leutnants und einen Oberfähnrich abkommandieren müssen. In ihren seemännischen Kenntnissen waren sie ganz brauchbar, aber in anderer Beziehung, auf die jetzt großer Wert gelegt wird, genügten die Herren leider nicht mehr den Anforderungen. Dadurch sind einige Rollen in unserer Flottille frei geworden.»
Gerber zitterte innerlich. In der nächsten halben Stunde würde sich sein Schicksal entscheiden, denn die Kellnerin fragte schon, ob sie das Käsegebäck servieren solle.
Das Examen begann. Gerber mußte über seinen militärischen Werdegang berichten, besonders ausführlich über die Einsätze nach der Invasion. Dabei hütete er sich geflissentlich, ein kritisches Wort zu sagen.
Einigen Zwischenbemerkungen konnte er entnehmen, daß der Dicke seine Personalakte bereits kannte. «Na ja», schnaufte er, «wenigstens ist in Parame von Ihrer Einheit niemand
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