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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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er Grubenholz Iiefert. Das war aber hier nicht der Fall. Grubenholz bezogen die Bergwerke aus Norwegen, schon seit Jahrhunderten. Der Lord nutzte seine Wälder lediglich zur Jagd. Sie bestanden überwiegend aus dichtem Unterholz, Buschwerk und künstlichen Lichtungen und bildeten ein vorzügliches Jagdrevier.
    Die Jagd war das Wichtigste am Besitztum des ehrenwerten Lords. Auf Holzgewinnung legte er keinen Wert. Warum auch? Die einunddreißig seines Stammes, die vor ihm hier saßen, hatten ja auch kein Holz verkauft. Tradition ist heilig, besonders in einer stockkonservativen Familie.
    In der Saison zogen die Herrschaften täglich hoch zu Roß mit einer großen Hundemeute ins Revier. Uniformierte Jagdhüter mit umgehängtem Waldhorn gehörten zur Begleitung. Man jagte par force, was in vielen Ländern Europas längst verboten war. In Britannien war es erlaubt. Tradition ist eben heilig!
    Beim Straßenbau beobachtete Gerber die vorüberziehende Jagdgesellschaft. Einige Arbeiter, die sich im Straßengraben etwas ausruhten, standen sofort auf, nahmen ihre Mütze ab und machten eine tiefe Verbeugung. Dafür warf ihnen der Jagdhüter ein Threepencestück zu, nach deutschem Geld etwa einen Groschen.
    Die Gefangenen grinsten unverhohlen.
    Harald Kreutzmann wußte natürlich mehr: Der Lord hatte seinen landwirtschaftlichen Grundbesitz in Parzellen aufgeteilt und an eine große Anzahl von Pächtern abgegeben. Das brachte mehr Geld und verursachte weniger Sorgen als die eigene Bewirtschaftung. In schlechten Erntejahren gerieten viele Pächter mit ihren Zahlungen in Rückstand. Um ihre Schulden abzutragen, arbeiteten sie nebenbei im Straßenbau. Wer nicht höflich die Mütze zog, konnte von heute auf morgen sein Pachtland los sein. Einen Schutz dagegen gab es nicht. Die Pächter waren keine Arbeiter; sie waren nicht gewerkschaftlich organisiert und zu gemeinsamen Aktionen nicht fähig. Trotzdem glaubten sie, sozial über den Arbeitern zu stehen. Dabei verdienten sie weniger, mußten schwerer arbeiten und besaßen weniger Rechte.
    Als Gerber sich darüber empörte, sagte Kreutzmann, daß die sozialen Verhältnisse auf den großen Gütern in Ostpreußen, Pommern und Mecklenburg nicht viel besser gewesen wären. Gerber wollte das nicht recht glauben, woraufhin Kreutzmann wieder einmal zu längeren Darlegungen über das kapitalistische System der Ausbeutung und den Klassenkampf ausholte.
     
    In der unmittelbaren Umgebung des Gefangenenlagers befanden sich große Hallen, in denen Kriegsmaterial aufgestapelt lag. Sie hatten einer amerikanischen Armee als Nachschubdepot gedient. Nach Kriegsende verscheuerten die USA den gesamten Powel zu einem Pauschalpreis an Großbritannien. Nun versuchte man in London, Abnehmer für einzelne Posten zu finden.
    Kunden gab es überall in der Welt. Ein Herr aus Lateinamerika übernahm zwei Waggons Stahlhelme, ein Beauftragter aus Ceylon zehn Maschinen zur Planierung von Rollfeldern. Die Hallen und auch das Freigelände leerten sich zusehends. Nur ein halbverrosteter Churchill-Tank, eine Fehlkonstruktion, stand noch da. Dieses Monstrum wollte niemand haben.
    Die Gefangenen mußten helfen, das Material auf- und abzuladen.
    Kaum war eine Halle leer, kamen aus anderen Lagern, die aufgelöst wurden, wieder neue Geräte. Dabei blieb natürlich nicht aus, daß man zunächst kleine Gegenstände «unterschneiden ließ», wie das in der Seemannssprache heißt. Gummiabsätze für Schuhe und Stiefel gab es massenhaft. Der Aufdruck «US Army» wurde mit einer Feile beseitigt, und schon entstand ein verkaufsfähiges Produkt, dessen Herkunft nicht mehr zu ermitteln war.
    Die britischen Posten kümmerten sich nicht darum. Meist hockten sie in einer Baracke und spielten Karten, bis ihre Wachzeit abgelaufen war. Was die Gefangenen trieben, war ihnen gleichgültig. Das kam dem Aufblühen des Handels zugute. Nach und nach wurden auch größere Gegenstände in die Transaktionen einbezogen. Wenn sich eine Gruppe einig war, konnte ein Fahrzeug schnell einen Satz Bereifung für Lastwagen in die nächste Ortschaft fahren und heimlich abladen. Es war ja genug davon vorhanden; ein Fehlbestand wurde nicht bemerkt, weil niemand eine Übersicht besaß. «Wir verscheuern dem Tommy das Empire unter dem Hintern», war die gängige Redensart.
    Derartige Unternehmungen wagten aber nur wenige. Sie bekamen auf diese Weise größere Beträge englisches Geld in die Hände. Damit konnten sie wenn auch anfangs mit einigem Risiko - manche

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