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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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veraltet.
    National Coal Board. An der Spitze dieser großen Organisation stand ein Lord Hyndley. Das war keineswegs ein Mann von altern Adel, sondern ein Parlamentarier der Labour Party, der bei den letzten Unterhauswahlen durchgefallen war. Zur Belohnung wurde er in den Adelsstand erhoben, damit er als Abgeordneter des Oberhauses weiterhin in der Politik mitmischen konnte.
    Die meisten Gefangenen hatten befürchtet, ins Bergwerk kommandiert zu werden. Da die Presse immer wieder von Grubenunglücken in Wales berichtete, war die Begeisterung für diese Art von Tätigkeit nicht groß. Überraschenderweise war Arbeit im Bergwerk zur Zeit nicht vorgesehen. Die Regierung hatte sie zwar gewünscht. Die Kohleproduktion des Landes blieb hinter den Erwartungen zurück; Kohle sollte in großen Mengen exportiert werden, die Handelsbilanz war passiv. Warum also nicht Kriegsgefangene? Aber die Gewerkschaft hatte Einspruch erhoben. Englands Bergarbeiter wurden von einern energischen Mann namens Horner geführt. Horner war Kommunist, und die Regierung tat ihr möglichstes, ihn bei der Arbeiterschaft zu diskreditieren. Doch es nutzte nichts: Mr. Horner wurde von den Bergarbeitern wiedergewählt. Er sorgte dafür, daß keine Gefangenen als Lohndrücker in die Bergwerke kamen.
    Für die Gefangenen gab es andere Arbeit, vor allem im Bauwesen. Was die Einsätze bezweckten, wurde bald klar. Jeder POW erhielt bei ganztägiger Arbeitsleistung eine Vergütung von sechs Shilling pro Woche. Zwar mußten die Betriebe an die Lagerleitung etwa das Zehnfache entrichten, aber selbst dieser Betrag war erst knapp die Hälfte dessen, was britische Arbeitskräfte an Lohn verlangten. Staat und Privatbetriebe kamen also auf ihre Kosten. Der Staat hätte sogar den gesamten Profit allein einstecken können, wenn er die Gefangenen in «seinen» Bergwerken beschäftigt hätte. Aber da war dieser Mr. Horner, der das schmutzige Spiel durchschaute. Aus diesem Grunde war die Regierung auch so bitterböse auf ihn.
    Die kümmerlichen sechs Shilling wurden in «Lagergeld» ausgezahlt. Das waren bunte Lappen, die auf Anordnung des Kommandanten jederzeit ihre Gültigkeit verlieren konnten. Für das Geld bekamen die Kriegsgefangenen lediglich einige Artikel in der Kantine, meistens zu stark überhöhten Preisen.
    Ein Shilling Lagergeld hatte eine weit geringere Kaufkraft als ein Shilling «hartes» Geld.
    Steinbruch und Straßenbau waren die wichtigsten Kommandos. Dann wurden durch Lautsprecher ehemalige Pioniere und Feuerwerker gesucht. Hohe Verdienstmöglichkeiten standen in Aussicht. Viele Männer meldeten sich daraufhin. Die Lagerleitung bildete eine Bomb Disposal Squadron, eine Arbeitsgruppe zur Beseitigung von Blindgängern. Sie bestand aus zwei britischen Fachleuten und etwa zwanzig deutschen Hilfskräften. Die Entlohnung der Gefangenen betrug sagenhafte neun Shilling in der Woche, also vier Mark fünfzig.
    Die Ausrüstung dieser Arbeitsgruppe war mehr als dürftig. Mit Hacke und Spaten mußten die Sprengkörper freigelegt und oft mit einern primitiven Hebewerkzeug aus dem Boden gezogen werden, ehe man sie entschärfen konnte. Es kam, was kommen mußte. Ein Blindgänger explodierte, es gab zwei Tote und sieben Verletzte. Um die Öffentlichkeit zu beruhigen, erschien die Pressemeldung zusammen mit einer Nachricht von der Auflösung dieser Arbeitsgruppe. Einige Wochen später wurde die Bomb Disposal Squadron in einem anderen Lager neu gegründet.
    In der Lagerkantine konnte man auch Zigaretten kaufen. Gierig stürzten sich die Raucher, soweit sie Lagergeld besaßen, auf den begehrten Artikel. Bald erfuhren sie, was es mit den Zigaretten auf sich hatte. Zufällig bot ein POW auf der Baustelle einem englischen Arbeiter eine solche Zigarette an.
    Der Arbeiter drehte sie unschlüssig zwischen den Fingern, er wollte wohl nicht unhöflich sein, schüttelte dann aber verneinend den Kopf. Es handelte sich um ein minderwertiges Einheitserzeugnis aus der Kriegszeit. Diese Zigaretten waren damals billig und viel schlechter als die üblichen Sorten. Nach dem Kriege wollte niemand mehr das miserable Kraut rauchen. Also verscheuerte die Regierung ihre Restbestände in den Lagern, natürlich mit hohem Gewinn.
     
    Einige Kilometer vom Lager entfernt war ein Schloß. Dort residierte der zweiunddreißigste Lord Pwulmyyrink. Die hohe Familie besaß ausgedehnte Ackerflächen und noch ausgedehntere Waldungen. In einem Bergbaugebiet kann der Wald von unschätzbarem Wert sein, weil

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