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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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lockerte sich. Immer mehr britische Soldaten wurden demobilisiert; die Wachmannschaft des weitverzweigten Lagers hatte kaum noch Kompaniestärke. Die Großen nutzten die veränderte Situation: sie begannen jetzt «Außenhandel» zu treiben.
    In Großbritannien fehlte eine ausgesprochene Heimindustrie. Spielzeug oder Filzpantoffeln wurden im Lande nicht hergestellt. Dergleichen bezog man vor dem Kriege aus Indien und anderen Ländern mit niedrigen Arbeitslöhnen. Jetzt aber hatte England - sehr zum Kummer der früheren Lieferländer - die Importbremse so weit angezogen, daß viele derartige Erzeugnisse knapp waren.
    An Rohmaterial herrschte kein Mangel. Im Nachschublager der US-Army lagen so viele Textilien, Farbtöpfe und Gegenstände aus Holz herum, daß man nur zuzulangen brauchte. Und die Großen langten kräftig zu! Ganze Baracken wurden in Werkstätten umgebaut. Hausschuhe, billige Schmuckwaren und Kinderspielzeug waren die Hauptartikel. Der Luxemburger beschäftigte in seiner Manufaktur, wie er das nannte, über fünfzig Mann. Zu niedrigsten Löhnen selbstverständlich.
    Sprachkundige mußten zu bestimmten Stunden durch die Umzäunung schleichen. Sie trieben in den benachbarten Ortschaften einen lebhaften Hausierhandel, der sich von Woche zu Woche ausdehnte. Diese Händler erhielten eine Provision. Der Löwenanteil floß in die Taschen der Großen.
    In den Ortschaften gab es dagegen Waren zu kaufen, die im Lager entweder gar nicht oder nur selten zu bekommen waren.
    Schnaps und Damenstrümpfe, Ledertaschen und Schuhe, sogar Zivilanzüge, die man auf dem Budenmarkt der Kreisstadt second hand erwerben konnte, fanden den Weg ins Lager. Sie wurden durchweg mit zweihundert Prozent Profit abgesetzt. Wie bescheiden nahmen sich dagegen die Gewinne des Kleinhandels aus, etwa mit Zahnpasta und anderen Artikeln, die nur einige Pennies kosteten.
    In der Nähe des Lagers befand sich ein Steinbruch, dessen veraltetes Eisenbahnsystem auf Kleinbahnspur gelegt war. Der Besitzer hatte schon lange vor, die Bahn auf Normalspur umnageln zu lassen. Aber die Arbeit war gefährlich, und britische Gewerkschaften pflegten hohe Forderungen zu stellen.
    Der Luxemburger erledigte das. Ohne Mühe ließ er in den Compounds von seinen Vertrauensleuten zwanzig arbeitswillige Männer zusammentrommeln, schleuste sie durch den Zaun und ließ sie - gegen Vergütung in Lagergeld natürlich - die Arbeiten im Steinbruch erledigen. Er selbst kassierte den vereinbarten Lohn in hartem Geld.
    Zwei Mann waren bei der Arbeit verletzt worden. Das störte den Luxemburger wenig: «So was kommt im Krieg alle Tage vor», war sein zynischer Kommentar. «Ihr habt euch ja freiwillig gemeldet.»
    Am nächsten Tag wurde ein Hausierer aus dem Lager in einem Dorf zusammengeschlagen. Ein Krankenwagen brachte ihn zurück. Die Täter wurden nie ermittelt. Es waren einige Arbeitslose, denen der Bahnbau im Steinbruch angeboten worden war. Als organisierte Arbeiter hatten sie der Gewerkschaft alle Verhandlungen mit dem Besitzer überlassen. Die Verhandlungen scheiterten, weil der Luxemburger den Tarif der Gewerkschaft weit unterbot. Auch das störte den Luxemburger nicht. Für ihn gehörte das zum Geschäftsrisiko! Daß es einen kleinen Händler getroffen hatte, fand er ganz normal. Die Großen hielten sich klüglich im Hintergrund.
    NatürIich wußte Captain Homewood, was im Lager vor sich ging. Er hatte mehrfach schriftliche Eingaben an den Kommandanten gemacht und Beschwerden vorgebracht, doch der «Alte» oder wie er in England hieß: «the old man» hörte nicht auf ihn.
    Homewood war keineswegs ein Captain, sondern unterzeichnete seine Briefe mit Captain & Q. M. Das war die Abkürzung für Quartiermeister. Obwohl er Zahlmeister und nicht Quartiermeister des Lagers war, mußte er diesen Titel ehrenhalber führen. Captain konnte nur ein regular officer sein, der über höhere Schule und Kriegsakademie Offizier geworden war. Wer sich vom Sergeant hochgedient hatte, führte bei seinem Dienstgrad den Zusatz & Q. M. Damit war er jederzeit und für jedermann nach seiner Herkunft abgestempelt.
    Gerber mußte zugeben, daß die Briten mit ihrem System sogar den deutschen Barras übertrafen, der ja auch Diskriminierungen von Offizieren kannte, die keine höhere Schulbildung besaßen. The old man hatte eine entschiedene Abneigung gegen nonregular officers. Was Homewood vorbrachte, wanderte ungelesen in den Papierkorb.
     
    Das geschäftliche Leben im Lager erhielt einen immer

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