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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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einfach das gesamte Börsenwesen abschaffen.»
    «Auf gar keinen Fall, das wäre eine Katastrophe! Die Börse ist für die Wirtschaft und das Finanzleben eines Staates unentbehrlich. Ohne Börse kann die Wirtschaft nicht einen Tag funktionieren ... Was haben die Amerikaner als erstes in Frankfurt am Main wieder in Betrieb genommen? Die Börse. Noch lange bevor irgendwelche Schritte zum Wiederaufbau der Industrie erfolgten. Also bitte, anders geht es überhaupt nicht!»
    Das beliebteste Objekt für die Spekulation waren die Nonvaleurs, wertlose Papiere, auf die keine Dividenden gezahlt wurden, die aber vielleicht einmal Wert bekommen konnten, sollten oder durften.
    Der börsengewandte Bankier besaß, wie er beiläufig erwähnte, ein großes Vermögen und kontrollierte mehrere Braunkohlengruben, Sägewerke und andere Unternehmungen in der Niederlausitz. Stapel von Aktien lagen in seinem Tresor.
    Gerber machte vorsichtig darauf aufmerksam, daß diese Betriebe von der sowjetischen Besatzungsmacht doch wohl ausnahmslos sequestriert waren. Die Papiere des Bankiers wären demnach sogenannte Nonvaleurs.
    Der brave Mann hob entsetzt beide Hände. «Um Gottes willen! Enteignung, Sequestrierung? Damit hat man uns 1919 auch gedroht, aber das wird sich nicht lange halten. Schließlich haben die USA in Deutschland auch noch ein Wörtchen mitzureden. Warten Sie nur ab, junger Mann, wir sprechen uns noch!»
    Es war aber keineswegs der Herr Bankdirektor; der bei Gerber erschien, um die Probleme des Börsenwesens mit ihm zu erörtern. Es war Harald Kreutzmann. Gerber erntete uneingeschränktes Lob. «Diesem komischen Onkel hast du es aber gegeben! Wie nannte er das Zeug, solche Papierchen, die sich Borsengauner gegenseitig unter die Weste jubeln?»
    Gerber erklärte Harald, was dieser am Abend zuvor nicht verstanden hatte. Kreutzmann war ein aufmerksamer Zuhörer. Auch Gerber bewegten einige Probleme. «Sag mal, geht es wirklich ohne Börse? Gibt es in Moskau denn nicht so ein Ding?»
    «Nein», sagte Kreutzmann lächelnd. «Gleich nach der Oktoberrevolution hat man die Banken verstaatlicht und alle Börsen geschlossen. Das entsprach den Zielen der Kommunistischen Partei. Wenn die gesamte Großindustrie, Banken, Versicherungen und Verkehrsbetriebe verstaatlicht sind, werden alle Wertpapiere vollkommen wertlos. Dann hört auch der Handel mit solchen Papieren auf.»
    Gerber bekannte freimütig, daß er über die Verhältnisse in der Sowjetunion kaum etwas wußte. Was in der Schule gelehrt wurde, war nur Hetze. Und jetzt? Die Briten legten keinen Wert darauf, den Gefangenen objektive Kenntnisse über einen Staat zu vermitteln, der - wie Churchill behauptete - den «Eisernen Vorhang» in Europa heruntergelassen hatte.
     
    Schlagzeilen in der britischen Presse: «Die letzten Minister der polnischen Exilregierung ausgebootet! Neues Kabinett in Warschau: Kommunisten beherrschen das Land».
    Welch ein Reinfall für Old England! Schon mit den jugoslawischen Exilmonarchisten war die Sache schiefgegangen, und nun geschah das gleiche mit den Polen. Jahrelang hatte die Regierung in London vertrauenswürdige Männer hochgepäppelt, hatte eine ganze polnische Armee ausgerüstet und besoldet, riesige Summen investiert. Volksdemokratische Ordnung, Verstaatlichung der Grundstoffindustrie forderten ,die Kommunisten in Warschau - gegen den Widerstand der Gruppe um den stellvertretenden Premierminister Mikolajczyk, die auf einmal nichts mehr zu sagen hatte.
    Die Zeitungen überschlugen sich. Sie zogen Haßtiraden ab, wie sie während des Krieges gegen Hitlerdeutschland, Italien und Japan üblich gewesen waren. Den Ton gaben auch jetzt die konservativen Blätter an, sogar unter einer Labour-Regierung.
    Die zahlreichen Exilpolen im Lande sanken tief im Ansehen. Eigentlich sollten sie nach Polen zurückkehren und den Kapitalismus wieder stabilisieren. Nun rangierten sie in ihrem Wert noch unter den deutschen Kriegsgefangenen.
     
    Endlich war es den Gefangenen möglich, dem Lager mit seinen häßlichen Baracken und Stacheldrahtzäunen für einige Stunden zu entfliehen. Kommandos unter Bewachung durften tagsüber in der Umgegend arbeiten.
    Draußen hatte sich allerlei verändert. An den Betriebstoren der Kohlengruben standen nicht mehr die Namen privater Firmen. Sie waren verstaatlicht worden, wobei die Unternehmer und Aktionäre hohe Entschädigungen erhielten und einen glänzenden Schnitt machten, denn die technischen Ausrüstungen waren größtenteils

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