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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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älter geschätzt, bekannte er freimütig. Daß Gerber siebzehn war, sagten sie ihm auf den Kopf zu.
    Wieder entstand eine Pause. Die Franzosen waren wortkarg.
    Gerber kam auf die Idee, jedem eine Zigarette anzubieten. Nach einigem Zögern langten sie zu; aber sie rauchten nur ein paar Züge und wickelten den Rest in ein Stückchen Zeitungspapier. Für morgen und le jour apres demain sollte auch noch etwas bleiben. Armes Frankreich!
    Die Arbeit machte Fortschritte. Hier waren gelernte Bootsbauer tätig, die sich ohne viele Worte verständigten. Jeder Handgriff saß.
    Die Unterhaltung blieb nun in Gang. Gerber verstand nicht alles, was gesagt wurde. Kein Wunder bei Moppels dürftigem Unterricht.
    Das Leben dieser Männer, so ergab ihr Bericht, zerfiel in zwei völlig getrennte Abschnitte: avant l'occupation und pendant l'occupation. Die Besetzung des Landes war der härteste Einschnitt. Die Ursachen für die Niederlage Frankreichs im Jahre 19401? Der eine nannte Unfähigkeit und Korruption in der Armeeführung, der andere sprach von mangelhafter Vorbereitung auf die unvermeidliche Auseinandersetzung mit Hitler-Deutschland, weil die Reichen auf ihren Geldsäcken saßen und keine Mittel für den Ausbau der Streitkräfte zur Verfügung stellen wollten. Vichy-Regime, Petain, Laval? Hier gab es nur eine Meinung: Verräter! Der Vorarbeiter zog seinen Schleim in der Mundhöhle zusammen und spuckte kräftig aus. Abgrundtiefe Verachtung lag in dieser Geste. Damit ersparte er sich eine mündliche Erläuterung. Die beiden anderen gaben mit einem Nicken ihre Bestätigung.
     
    Endlich wurde «seeklar» befohlen. Gerber brannte darauf, mit dem schwerbewaffneten Dampfer zu kühnen Taten auszulaufen. Für seinen Geschmack hatte die Gruppe der Minensucher schon viel zu lange untätig im Hafen gelegen.
    Pünktlich meldeten die Heizer: Sieben Atmosphären Dampfdruck. Der Bootsmann pfiff auf Manöverstationen. Flagge Anton ging am Signalmast hoch. Unaufgefordert stellten sich einige ältere Matrosen an die Leinen. «Achtern alles los und ein, Vorleine los und ein, Vorspring festhalten!» kam das Kommando von der Brücke. Gerber schwirrte der Kopf. Die Befehle hagelten so schnell herunter, daß er gar nicht begreifen konnte, was jetzt gleichzeitig vor sich ging.
    Doch alles lief glatt. Die Mannschaft wußte, was zu tun war. Die jüngeren Matrosen durften noch keine Leinen führen. Sie standen auf der Back angetreten und wurden nach Bedarf zu irgendwelchen Arbeiten herangezogen. Die meiste Zeit wurden sie überhaupt nicht gebraucht.
    «Backbord zwanzig, zweimal langsam voraus!» Gemächlich drehte das Fahrzeug um die festgehaltene Spring. «Stopp Maschine. Ruder mitschiffs, Vorspring einholen!» Wenig später lief das Boot mit «halbe Fahrt zurück» über den Achtersteven in das Hafenbecken ein.
    Jetzt wurde ein Wimpel geheißt. Gerber dachte angestrengt nach, kam aber nicht auf den zugehörigen Buchstaben. Dabei hatte er auf Dänholm das gesamte Signalalphabet auswendig gekonnt. «Flagge Gamma», sagte Ritter. «Wir fahren Schleife.»
    Boot 00 verholte in das Bouvet-Becken. Hier waren zahlreiche kleine Markierungstonnen ausgelegt. An einer Pier wurde kurz festgemacht. Sämtliche Uhren mußten abgegeben werden, von der Armbanduhr bis zu dem großen Chronometer im Kartenhaus. «Sonst gehen sie morgen nach dem Mond», sagte Schabe.
    Mit langsamer Fahrt lief das Boot nun zwischen den ausgelegten Tonnen hindurch. Schließlich meldete die Signalstation: «Alles in Ordnung!» Die Uhren wurden übernommen, und bald befand sich der alte Fischdampfer wieder an seinem Liegeplatz. Die Fahrt hatte vierzig Minuten gedauert.
    Gerber war schwer enttäuscht. Von kühnen Taten konnte bei dieser Hafenrundfahrt, die dem Entmagnetisieren des Bootes diente, keine Rede sein.
     
    Landgang. Althoff und Schabe erklärten sich großmütig bereit, Gerber mitzunehmen. Sie wüßten ein sehr nettes, gemütliches Lokal ...
    Ahnungslos gab der Neuling seine Zusage.
    Der Weg ging in die Altstadt. Gerber, der bisher nur die Vororte kannte, war beeindruckt. Auf einem hohen Granitfelsen, eingeschlossen von gewaltigen Mauern, lag das historische Seeräubernest Saint-Malo. Enge Straßen führten bergan. Eine Kathedrale mit einem schönen gotischen Turm überragte das Häusergewirr.
    Obwohl viele Generationen an der Stadt gebaut hatten, wirkte ihre Anlage sehr einheitlich. Stil und Material, Fensterform und Farbtünchung der Gebäude, alles war harmonisch aufeinander

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